erstaunt, dann sichtlich verärgert an. Schließlich ging sie kopfschüttelnd ins Schlafzimmer.
Alles, was ich im Wohnzimmer sah, war mir mehr als vertraut. Ahtis und Elinas Bücherregal kannte ich auswendig. Die Buchrücken und ihre Reihenfolge hatten sich an all den Abenden, die wir alle zusammen in diesem Raum verbracht hatten, in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich wusste auch ohne Probesitzen, wie tief und weich der robuste schwarze Sessel vor dem Regal und wie hell die hohe Stehlampe aus Edelstahl war. Und von einem gemeinsamen Abend bis tief in die Nacht wusste ich, dass Kerzen und Kerzenhalter in der dunkelbraunen antiken Truhe lagen, die neben dem Sessel stand. Auf ihrem Deckel lag ein aufgeschlagenes Buch mit den Seiten nach unten, so wie sonst auch.
Obwohl mir alles vertraut war, betrachtete ich das Zimmer jetzt, als sähe ich es zum ersten Mal, und horchte auf die Geräusche aus dem Schlafzimmer. Eins hatte ich verstanden: Uns überrascht nicht das, was uns von vornherein fremd ist, sondern vielmehr das, was wir zu kennen glaubten, bis wir auf einmal das Gegenteil feststellen.
»Ahti kommt gleich«, sagte Elina hinter meinem Rücken.
»Danke.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»Ich hätte es auch fast nicht verstanden«, sagte ich.
Wir setzten uns jeder in eine Ecke des Sofas und ließen dabei wie abgesprochen ein ganzes Sitzpolster zwischen uns frei.
»Du bist nicht du selbst.«
Ich antwortete nicht, sondern konzentrierte mich auf meine Gedanken.
»Tapani«, sagte Elina leise und beugte sich zu mir. »Du hast das, was ich erzählt habe, bestimmt falsch verstanden. Über die damaligen Ereignisse. Über Pasi Tarkiainen.«
»Ich glaube, ich habe es vollkommen richtig verstanden.«
Elina zögerte. »Ich hoffe, dass du Ahti nicht alle Einzelheiten berichtest.«
Ich sah sie an und wollte sagen, dass das kaum nötig sein würde, kam aber nicht mehr dazu. Ahti trat ein.
»Hei Tapani.«
Er sah aus als hätte er in den letzten vierundzwanzig Stunden mehrere Kilo abgenommen und wäre zugleich auch ein wenig kleiner geworden oder hätte anderweitig etwas von seiner Statur eingebüßt. Ich wusste, dass das nicht möglich war, aber so wirkte er, als ich ihn da in seiner Jogginghose, dem Wollpullover und den dicken weißen Sportsocken stehen sah. Er sah sich um und entschied sich dann für die paar Schritte zum Sessel. Elina rückte auf dem Sofa noch weiter von mir weg.
Ahti setzte sich und sah mich an. »Elina sagt, dass du mit mir über etwas Bestimmtes reden willst.«
Ich streifte Elina mit einem Blick und wandte mich dann Ahti zu. »Dass ich über etwas Bestimmtes reden will, habe ich nicht gesagt. Ich habe Elina nur gebeten, dich zu wecken.«
Ahti faltete die Hände im Schoß und lehnte den Kopf zurück. Er versuchte vielleicht, ein wenig mehr nach einem Juristen auszusehen, als es die Situation oder seine Jogginghose hergab. »Du klingst nicht nach dir selbst«, sagte er.
»Wie klinge ich denn, wenn ich ich selbst bin?«, fragte ich. »Nach einem Freund, der nichts mitkriegt und alles glaubt?«
Ahti warf Elina einen raschen Blick zu. »Wir alle haben schwere Tage hinter uns. Ich wurde von einer Ratte gebissen, was an sich keine große Sache ist, aber es hat unsere Pläne völlig über den Haufen geworfen. Elina hat dir bestimmt erzählt, dass wir in Helsinki bleiben.«
»Ja, hat sie«, bestätigte ich.
»Ich hatte in der Nacht hohes Fieber und bin immer noch nicht wieder gesund. Und wirklich erschöpft. Wenn wir etwas für dich und Johanna tun können, dann tun wir es. Aber es hilft wohl keinem von uns, wenn du hierherkommst, dich schlecht benimmst und Elina quälst. Ich glaube nicht, dass Freundschaft zu so etwas berechtigt. Zumal in solchen Zeiten.«
Ich streifte Elina wieder mit einem Blick. Sie war jetzt so weit von mir abgerückt, wie es das Sofa erlaubte, hob die Beine aufs Polster und schlang die Arme um die Waden.
»Ich habe Elina nicht gequält«, sagte ich. »Aber sollte ich es unbewusst getan haben, dann tut es mir leid. Was unsere Freundschaft angeht, zumal in solchen Zeiten, stimme ich dir zu. Über alles andere bin ich aber ziemlich verwundert.«
Ahti schlug ein Bein über das andere, lehnte sich ganz leicht nach links, stützte den Ellenbogen auf die Lehne und hob das Kinn. Unter anderen Bedingungen hätte diese Haltung Kompetenz und Überlegenheit ausgestrahlt. Aber Kleider machen auch Juristen. In Jogginghosen und dicken Socken ist es für jeden ungeheuer schwer, Würde vorzutäuschen.
»Als Johanna verschwunden ist«, sagte ich und hätte wieder beinah auf die Uhr geschaut, »das war vor fast zwei Tagen, bekam ich es mit der Angst zu tun. So wäre es jedem von uns gegangen. Und weil ich keine Familie habe, habe ich mich an meine Freunde gewandt. Ich kam hierher. Ihr wolltet gerade aufbrechen. Genau zu