Frau, deren Hand ebenso glatt und zart war wie Ninas. Tausend Erinnerungen brachen über mich herein, Situationen, in denen ich Johanna berührte. Auf der nächtlichen Straße beim Heimweg aus dem Kino, bei langweiligen Essen heimlich unter dem Tisch oder an einem frühen Sommermorgen, wenn ich sie zur Arbeit brachte.
Nina bemerkte es.
»Sorry«, sagte ich.
Hamid mischte sich ein: »Du steckst in irgendwelchen Schwierigkeiten.«
Das war ziemlich nah an der Wahrheit, ich nickte.
»Kannst du davon erzählen?«
»Warum nicht, wenn du mir sagst, wo ich hier bin.«
»In Kallio«, sagte Hamid.
Ich erzählte ihm, dass meine Frau verschwunden war und dass ich mich wieder auf die Suche machen müsste. Die Waffe gehörte mir, und ich wollte ihn dafür bezahlen, dass er sie mir zurückgegeben hatte. Während ich sprach, blickte er mich unverwandt an.
Nina stand vom Stuhl auf, ging in den Gaststättenraum hinüber und kam mit ihrer Handtasche zurück. Sie entnahm ihr eine Packung Schmerztabletten und reichte sie mir.
»Danke«, sagte ich, drückte mir zwei Tabletten heraus und schluckte sie zusammen mit Wasser.
Nun ging Hamid seinerseits in die Gaststätte, klapperte dort eine Weile herum und brachte dann eine Tasse und einen Teller.
»Tee. Und viel Zucker«, sagte er.
Der Tee war dunkel wie Kaffee, ziemlich heiß und so süß, dass es in den Zähnen zog. Ich leerte die ganze Tasse mit wenigen Schlucken, spürte die warme Flüssigkeit im Hals und kurz darauf im Magen.
Als ich mir sicher war, dass der Tee dort bleiben würde, wo er hingehörte, stand ich auf und wankte einen Augenblick. Dann machte ich ein paar wackelige Schritte zur Tür und kam nach nebenan. Die Gaststätte war klein. Eine offene Küche über die Breite einer Wand und das Salatbüfett füllten eine Hälfte des Raumes, die andere Hälfte nahmen drei kleine Tische ein. Die dazugehörigen Holzstühle warteten auf Gäste. An der Wand hing ein Fernseher, auf dem Bildschirm sah ich eine Feuersbrunst.
»Lokalnachrichten?«, fragte ich.
Nina schüttelte den Kopf.
»Aus der Heimat«, sagte Hamid.
Ich verfolgte wieder den Brand, der so aussah wie alle anderen Brände dieser Welt.
»Tut mir leid«, sagte ich zu Hamid.
»Mir auch«, antwortete er.
Nina nahm die Fernbedienung, die neben der Kasse lag, und schaltete auf ein anderes Programm um. Es gab einen eigenen Nachrichtenkanal für Helsinki, der laufend die Situation in der Stadt verfolgte, und ich bat Nina, diesen einzustellen. Sie tippte auf der Fernbedienung herum.
Währenddessen holte ich mein Handy heraus und fragte nach einem Ladegerät. Hamid nahm mein Handy und ging damit hinter die Theke.
Ich setzte mich auf einen der Stühle und sah auf die Wanduhr: zwölf nach eins. Ich fühlte mich schwach und angegriffen. Mir kamen Gedanken, die ich nicht zu Ende denken wollte, sie drehten sich um Johanna. Schon allein die Ahnung oder die Angst, dass ihr etwas Ähnliches zugestoßen sein könnte wie mir vorhin, war schmerzhafter als die Schläge, die ich abbekommen hatte.
Die Lokalnachrichten brachten keine neuen Erkenntnisse zu Johanna. Bewaffnete Raubüberfälle hatten zugenommen, sie wurden jetzt auch tagsüber und immer näher am Stadtzentrum verübt. Einer der Wolkenkratzer im Stadtteil Pasila war am frühen Abend in Brand gesteckt worden. Von der Ostgrenze zum Hauptstadtbereich staute sich wieder mal der Verkehr. Positive Meldungen gab es auch: Die U-Bahntunnel waren leergepumpt worden, und die Bahnen fuhren wieder. Und man hatte zusätzliches bewaffnetes Wachpersonal bereitgestellt.
Aber nichts, was mir helfen würde.
Hamid setzte sich zu mir an den Tisch. »Das wird schon wieder«, sagte er, als ich mich vom Fernseher abwandte und ihn ansah.
Später stand ich draußen vor der Pizzeria, sog die dünne, im Hals kratzende Nachtluft ein und betrachtete die Bäume hinter der Bibliothek, die still, vom Regen glänzend und mit tropfenden Zweigen dastanden und mitten in der Winternacht einfach stumm ausharrten und auf den Frühling, auf Wärme und neues Leben warteten. Der Boden unter ihnen war eiskalt und würde es noch monatelang bleiben, und trotzdem regten sich die Bäume deswegen nicht auf, schüttelten sich nicht und verlangten auch von niemandem Rechenschaft für die unangenehme Situation. Ich erwachte aus meiner Lehrstunde, als Hamids Taxi im Rückwärtsgang um die Ecke bog und vor mir anhielt.
Im Wagen gelang es mir, das Handy einzuschalten. Kein Zeichen von Johanna. Ich wischte mit dem Taschentuch über mein wundes Ohrläppchen, das erneut aufgerissen war, als ich mir das Gesicht gewaschen hatte. Das Tuch färbte sich im Nu dunkelrot, ich nahm ein neues und drückte es mir aufs Ohr.
Wir umfuhren weiträumig die Straßen, die wegen des brennenden Wolkenkratzers gesperrt waren, erreichten West-Pasila und gelangten ohne Probleme in die Nähe des Polizeigebäudes. Hamid parkte zweihundert Meter vor dem Haupteingang, und ich steckte ihm den x-ten Geldschein zu. Keine Ahnung, wie viel mich die Fahrt bisher gekostet hatte. Er hatte