nichts und niemanden jemals so sehr geliebt wie meine Frau«, hörte ich mich sagen. Frau Bonsdorff hielt den Blick unverwandt auf mich gerichtet, in den Augenwinkeln und auf den Wangen bildeten sich tiefe Falten. Ein warmes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, und ich begriff, dass es ihre und nicht Johannas Augen waren.
Ich war bereits im Flur, zog mir die Jacke an und betrachtete mich flüchtig in dem großen goldgeränderten antiken Spiegel, als Frau Bonsdorff sagte:
»Wenn du deine Frau findest …«
Ich drehte mich zu ihr um. Sie verschwand fast in der großen Türöffnung zum Wohnzimmer und dem dicken Nebel, der hinter den Fenstern stand.
»… dann verlier sie nicht wieder.«
Ich band mir den Schal um. »Ich versuche mein Bestes, Frau Bonsdorff.«
Ich hatte ihr bereits den Rücken zugekehrt und die Hand auf die Türklinke gelegt, als ich sie hinter mir hörte: »Es ist nicht leicht, aber es ist die Mühe wert.«
11 Auf dem schwarzen Brett unten im Eingang suchte ich mir die Wohnungsnummer des Hausmeisters heraus, sie befand sich gleich im Erdgeschoss. Hausmeister Jakolew öffnete nicht. Vielleicht war er nicht zu Hause, vielleicht verhielt er sich einfach leise hinter seiner Tür. Ich hörte meinen Atem und irgendwo weit weg eine Wasserleitung. Es roch nach ranzigem, gebratenem Ei. Ich wartete eine Weile, wählte dann die Telefonnummer, die auf dem Schild neben der Tür stand. Jakolew ging nicht ans Telefon. Ich gewöhnte mich allmählich daran, dass meine Anrufe nicht beantwortet wurden, steckte das Handy wieder ein und verließ das Haus.
Draußen sog ich die Lungen voll Luft, setzte mich ins Taxi und weckte Hamid.
»Wohin jetzt?«, fragte er und wirkte binnen einer Sekunde wacher, als ich es je war.
Ich dachte darüber nach, wohin wir fahren könnten, was sinnvoll wäre. Und was ich spätestens jetzt mit absoluter Sicherheit wusste: Tarkiainen lebte.
Johanna war dem Heiler auf die Spur gekommen.
Tarkiainen hatte irgendwie mit dem Heiler zu tun.
Tarkiainen und Johanna waren sich wiederbegegnet.
Weiter kam ich mit meinen Gedanken nicht, denn Hamid drehte sich um, und ich sah in seine dunklen, fast schwarzen Augen.
»Wohin möchtest du fahren?«, fragte er.
Im selben Moment bekam ich eine SMS und konnte Hamid nach dem Lesen sofort sagen, was unser nächstes Ziel war.
Unterwegs hielt Hamid an einer Tankstelle. Er sprang schnell aus dem Auto, ging zu einem Automaten, gab eine Karte und ihren Code ein und begann zu tanken. Ich stieg ebenfalls aus, hatte sofort den betäubenden, metallischen Geruch von Benzin in der Nase und ging ein paar Schritte zum Tankstellenshop. Der Nebel war immer noch dick, und die Luft klebte feucht auf der Haut.
Die ehemalige Restaurantschule hinter der Tankstelle stand mit schwarzen Fenstern im Nebel. Davor lungerte ein Dutzend Leute herum, Männer und Frauen, die durch Gebrüll, Gekreische und den Zuruf halber Silben miteinander kommunizierten. Sie ließen einen Plastikbehälter von Hand zu Hand gehen, den sie einer nach dem anderen an die Lippen setzten.
Auf der anderen Seite der Zapfsäule hielt ein großer Geländewagen mit getönten Fensterscheiben. Fahrer- und Beifahrertür öffneten sich, heraus stiegen zwei Männer mit slawischem Aussehen und der Größe von Panzern. Einer von ihnen ging zur Tanksäule, der andere blieb neben dem Auto stehen. Ins Innere des Wagens konnte man nicht sehen, aber vermutlich saß auf der Rückbank ein schwerreicher Mann, der sein Geld nie ausgeben konnte.
Die Tankstelle war wie die Welt im Miniformat: unter dem Boden das Öl, oben die Massen, die den Anschluss verloren hatten, und einige wenige, die durch die Not der anderen reich geworden waren. Jeder hatte seinen Platz an dieser nebeligen Tankstelle wie auch auf der Welt.
Hamid hängte die Zapfpistole mit einem lauten Geräusch wieder ein und weckte mich aus meinen Gedanken. Das Timing war ausgezeichnet, denn der Panzer, der das Auto bewachte, hatte meine Blicke bemerkt. Wahrscheinlich wollte er gerade herüberkommen und mich fragen, ob ich was von ihm wollte. Und das wollte ich ganz sicher nicht.
Hamid fuhr rückwärts, wendete und nahm Kurs auf die Innenstadt. Der Bahnhofsplatz war verstopft von Menschen und Autos. Hamid setzte mich am Warenhaus ab, gegenüber vom Bahnhof. Ich quetschte mich durch die Massen und gelangte in ein Café, wo ich mich an die Schlange zum Tresen anstellte. Beim Warten hörte ich Gesprächsfetzen in mindestens zehn verschiedenen Sprachen. Einige der Fetzen verstand ich, die meisten nicht. Ich bekam Kaffee und eine Art Brötchen, das so fest in dünnes Papier eingepackt war, dass nur der kleine brotfarbene Kopf verriet, worum es sich handelte. Nachdem ich bezahlt hatte, suchte ich einen Sitzplatz. Als eine afrikanische Familie ihre Mäntel und Koffer ergriff und in Richtung Bahnhof aufbrach, setzte ich mich an ihren Tisch. Ein breit lächelnder,