mir das Leben gerettet, dafür zahlte ich gern ein bisschen extra. Ich bat ihn zu warten. Sollte ich binnen einer Stunde nicht zurück sein, könnte er sich nach einem neuen Fahrgast umsehen.
Ich hielt mich beim Gehen so gerade, wie es mit den Schmerzen im Rücken möglich war, steckte das blutige Taschentuch in die Jackentasche und setzte eine so freundliche und neutrale Miene auf, wie ich es ohne Spiegel vermochte. Trotzdem wäre für mich beinah am Tor des eingezäunten Geländes Schluss gewesen.
Nein, ich hatte keinen Passierschein.
Nein, ich wurde von niemandem erwartet.
Ich erklärte, dass ich Kriminaloberkommissar Harri Jaatinen sprechen wolle, im Zusammenhang mit dem sogenannten Heiler. Der junge, unentwegt nach rechts und links schielende Polizist in dicker schusssicherer Weste mit Helm auf dem Kopf und Sturmgewehr in der Hand hörte mir eine Weile zu, dann ging er ohne ein Wort zu sagen in sein Wärterhäuschen, verweilte dort einen Moment und öffnete das Tor.
Man schickte mich zur Sicherheitskontrolle, wo mir das Handy abgenommen und ein Hausausweis übergeben wurde, den ich über der Brust tragen musste. Anschließend gelangte ich ins Gebäude, dessen große Eingangshalle voller wartender Menschen war. Es gab nur einen einzigen freien Sitzplatz. Ich nutzte die Chance, mich auszuruhen.
Mir gegenüber saß ein gutgekleidetes, wohlhabend wirkendes Ehepaar etwa in Johannas und meinem Alter. Die Frau lag halb auf dem Schoß des Mannes und schluchzte leise. Sie presste Taschentücher in den Fäusten, und ihr rotgeflecktes Gesicht sah aus, als wäre es ausgerenkt. Der Mann war bleich und starrte mit leerem, versteinertem Blick geradeaus, während er mechanisch mit der Hand über den Rücken der Frau strich.
Ich schloss die Augen und wartete.
8 »Tapani Lehtinen.«
»Falls du einen Diebstahl, Raub oder Körperverletzung melden willst, musst du dort am ersten Schalter eine Nummer ziehen.«
Harri Jaatinen sah erstaunlicherweise genauso aus wie in den Fernsehnachrichten, er war so groß und kantig, wie er in den fast schon peinlichen Nahaufnahmen gewirkt hatte. Ich stand auf und ergriff die ausgestreckte Hand. Jaatinen war ein gutes Stück älter als ich, eher sechzig als fünfzig, und mit seinen dunkelgrauen Schläfen, dem Schnauzbart und den graublauen Augen sah er dem einstigen amerikanischen Fernsehpsychologen Dr. Phil zum Verwechseln ähnlich. Aber schon bald wurde mir klar, wo Dr. Phil aufhörte und wo Kommissar Jaatinen begann. Da, wo Dr. Phil mit falscher Empathie schmeichelte und schleimte, klang Jaatinens Stimme trocken, rau und unnachgiebig. Bei ihm gab es kein Zögern, keine Gefühlsduselei oder Lobhudelei, sondern bei ihm wurde konstatiert und mitgeteilt. Sein Händedruck war genauso: professionell und fest.
Ich berührte automatisch das Pflaster an meinem Ohr, hatte nicht mal im Traum daran gedacht, jenen Vorfall zur Anzeige zu bringen, und so schüttelte ich den Kopf.
»Ich bin wegen dem Heiler hier. Ich glaube, meine Frau, die Journalistin Johanna Lehtinen, hat dich deswegen bereits kontaktiert.«
Jaatinen schien sofort zu begreifen und auch zu wissen, von wem ich sprach. Er verlagerte das Gewicht von einem Bein aufs andere.
»Ja, wegen dieser wie auch wegen vieler anderer Fragen«, sagte er, und ich konnte nicht erkennen, ob da ein erfreutes Lächeln oder eine unangenehme Erinnerung über sein Gesicht huschte. Dann fragte er: »Möchtest du eine Tasse Kaffee?«
Der Kaffee war bitter, aber warm. In dem schmucklosen Raum standen ein Tisch, zwei Stühle und Jaatinens Computer.
Ich erzählte ihm alle Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden: Johannas Verschwinden und was ich über ihre Recherchen herausgefunden hatte. Was ich unternommen und was mir bisher lediglich ein bepflastertes Ohr, einen blauschwarzen Rücken und die dünne Theorie von Meereswellen eingebracht hatte.
»Johanna ist eine gute Journalistin, die uns schon viel geholfen hat«, sagte Jaatinen, als ich fertig war. Seine Stimme klang wie gemacht für solche Situationen, sie hob und senkte sich nicht, wies weder Färbungen noch Nuancen auf, ergriff keine Partei und nahm keine Stellung. Zu meiner Überraschung hörte sie sich außerdem angenehm an. »Aber wie du sicherlich weißt, haben wir zur Zeit Personalmangel. Und wie du gut verstehen wirst, habe ich leider niemanden, der deine Frau oder sonst jemanden suchen könnte.«
»Das meinte ich ja gar nicht«, sagte ich. »Ich möchte mehr über den Heiler wissen, weil ich auf diese Weise Johanna finden kann.«
Jaatinen wiegte heftig den Kopf. »Das ist nicht sicher.«
»Ich habe aber sonst nichts weiter. Und die Polizei verliert nichts dabei. Entweder finde ich Johanna oder ich finde sie nicht. Auf jeden Fall hast du einen zusätzlichen Mann bei der Untersuchung der Familienmorde. Alle gewinnen.«
Jaatinen maß mich mit seinen Blicken und antwortete nicht sofort. Vielleicht versuchte er meine Zuverlässigkeit einzuschätzen, verglich mich mit den Tausenden anderen Hilfesuchenden oder -anbietenden, denen er bei seiner Arbeit begegnet war. Ich versuchte, während ich da auf meinem Stuhl