Unterarm streifte. Goooott …
»Laufen Sie regelmäßig?«, fragte er plötzlich.
»Gott, nein«, entfuhr es mir voller Überzeugung. Verdammt! »Also früher schon, natürlich, ja, ja, aber jetzt … so viele andere Verpflichtungen, Hobbys, naja …«
»Segen und Fluch unserer Zeit«, meinte mein Begleiter kryptisch, und ich erwiderte: »Genau das. Sie sagen es.« Als wäre ich eine richtige Frau und als würde ich ein richtiges Gespräch führen.
Wir bogen in die Sieveringer Straße ein.
»Wissen Sie, dass ich Sie heute das erste Mal aus der Nähe sehe?«, sagte Strohmann plötzlich.
»Ja«, platzte ich heraus. »Ich meine – ich meine, ich Sie auch …«
Ich starrte ihn an, und er zwinkerte mir zu. Am liebsten hätte ich laut losgekichert.
Das Geschäft des Piraten lag dunkel und verlassen da. Trotzdem beschleunigte sich mein Herzschlag. Strohmann sah mich prüfend an. Schnell senkte ich den Kopf. Vor dem Schuh-Bi blieben wir beide stehen, und Strohmann nahm meine rechte Hand in beide Hände.
»Es hat mich sehr gefreut, ein Stück des heutigen Weges mit Ihnen gemeinsam zu gehen«, sagte er und sah mir dabei in die Augen.
War das versteckte Kamera oder so was? Noch nie hatte ein Mann so mit mir geredet. Und einer wie Dr. Strohmann redete sonst gar nicht mit mir.
»Mich auch«, piepste ich. Und dann, in einem plötzlichen Anfall von Wagemut: »Vielleicht trifft man sich ja wieder …« Meine eigene Courage war mir so peinlich, dass ich ein schnelles »Hihihi« dranfügte, wie um das Gleichgewicht der Natur wiederherzustellen. Teddy Kis war ein wandelndes Fettnäpfchen, und das durfte sich auch nicht ändern.
Doch der Zahnarzt blieb gelassen. »Wer weiß …«, entgegnete er mit samtweicher Stimme. Ich presste die Lippen zusammen, um ein dämliches Teenagergrinsen zu unterdrücken, was leider misslang. »Ciao«, machte Strohmann, hob die Hand und blinzelte mir zum Abschied zu. »Ciao«, machte ich, drehte mich um und knallte mit dem Kopf gegen die Glastür. Ich riss sie auf und stolperte ins Geschäft, noch ehe mir Dr. Strohmann seine ärztliche Hilfe anbieten konnte. Bonnie-Denise, die gerade einer unserer Stammkundinnen, einer pailettenbesetzten Mittsechzigerin, glitzernde Geox-Sportschuhe anprobieren wollte, schnatterte los: »Was hast du denn mit ihm geredet? Warum hat er deine Hand gehalten? Teddy, ich hab ja gar nicht gewusst, dass du ihn kennst! Bist du Patientin bei ihm? Was macht er überhaupt am Samstag hier, die Praxis ist doch geschlossen. Und warum hat er dich so angelächelt?«
Die letzte Frage klang nicht sehr schmeichelhaft, trotzdem fühlte ich etwas völlig Unbekanntes in mir aufkeimen. Stolz. Ein unerwarteter, kindischer Stolz. Und wieder das Teenagergrinsen.
»Wir haben uns unterwegs getroffen, und er hat vorgeschlagen, dass wir ein Stück gemeinsam gehen.« Es klang nicht ganz so selbstverständlich, wie ich gern gewollt hätte. Als ich die skeptischen Blicke der beiden sah, hielt ich einen Themenwechsel für angebracht. Ich legte die Hand hinter die Ohrmuschel und fixierte Bonnie-Denise mit einem, wie ich hoffte, strengen Blick. Das Dominante lag mir nicht so.
»Kann es sein, dass ich nichts höre?«, fragte ich sie.
Sie stöhnte genervt auf. »Ich hab die Chose heute schon zweimal rauf und runter gespielt. Eine Sekunde, bevor du gekommen bist, war sie aus. Ich wollte gerade wieder auf ›Play‹ drücken.«
»Schalte doch einfach auf Repeat, dann macht das Gerät alles von alleine«, antwortete ich und startete die CD neu.
»Ich sollte eine Gefahrenzulage für den Job verlangen. Irgendwann kriege ich noch Ohrenkrebs«, knurrte Bonnie-Denise.
»Aber singen tut er schon schön, der Frank Sinatra«, schlug sich die Kundin ausnahmsweise auf meine Seite. »Und der Hans hat ihn halt so gerne gehabt. Richtig vernarrt war er in ihn.«
»Und wir müssen das jetzt büßen«, stellte Bonnie-Denise düster fest, worauf die Kundin kicherte.
»Der Hans war großartig«, sagte ich mit fester Stimme. »Und ich würde alles tun, was in seinem Sinne gewesen wäre.«
Bevor Bonnie-Denise weitere despektierliche Bemerkungen über zwei der wichtigsten Männer in meinem Leben machen konnte, trat ich die Flucht an.
»Bin gleich wieder da«, versprach ich, stieß die Ladentür auf, vergewisserte mich, dass kein Zahnarzt in der Nähe war, und lief auf die andere Straßenseite. Keuchend ließ ich mich vor Batman nieder. »Hallo, mein braver, süßer Großer. Geht’s dir gut? Heiß ist es, gell.« Ich streichelte ihn mit beiden Händen, kraulte das raue Fell auf seiner Stirn, seine spitzen Ohren und flüsterte weiter: »Das war nicht nett von mir, dass ich einfach so reingegangen bin, ohne dich zu begrüßen, gell. Gar nicht nett von mir. Aber jetzt bin ich ja da.«
Batman brummte zufrieden und legte dann seinen Kopf auf meine Knie. Aus dem Inneren des Ladens, den er bewachen sollte, hörte ich das Schaben von Stuhlbeinen über Fliesen.
»Ich muss gehen«, hauchte ich Batman zu, strich ihm ein letztes Mal über den