ihr die Wimperntusche bis zum Kinn gerutscht war.
»Jetzt weiß ich wieder, wie du heißt«, flüsterte sie. »Taddäa, aber alle haben immer Teddy gesagt.«
»Ja«, seufzte ich.
»Wie kuschelig das klingt. Der Name gefällt mir.«
»Du spinnst«, entfuhr es mir. Doch so sehr ich es auch versuchte, ich konnte das Lächeln, das sich auf meinem Gesicht ausbreitete, einfach nicht unterdrücken. Natürlich konnte sie das einfach nur so dahingesagt haben, aber das machte für mich in dem Moment keinen großen Unterschied. Ich freute mich trotzdem. Fakt war, dass noch nie jemand gesagt hatte, dass ihm mein Name gefällt.
Ich räusperte mich. »Geht’s wieder?«, fragte ich vorsichtig.
Sie belohnte mich mit einem zauberhaften Lächeln. »Aber ja. Wie süß von dir, dass du dir Sorgen gemacht hast. Ich scheine etwas an mir zu haben, das in meinen Mitmenschen auf der Stelle den Beschützerinstinkt weckt.« Mit einer schwungvollen Kopfbewegung warf sie ihre Haare nach hinten. »Wirke ich tatsächlich so zerbrechlich?«
»Naja, du hast grade ziemlich geweint …« Wie jetzt, doch die Tussinummer? Oder hatte die Frau einfach einen kompletten Knall? Jedenfalls hatte sie das mit den Stimmungsschwankungen ziemlich gut drauf.
»Bist du verheiratet, Teddy?«
»Noch nicht«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. Mit der Betonung auf »noch«.
»Ach, dann gibt es also bereits einen zukünftigen Herrn Kis?«
»Natürlich.« Er hatte schwarzes Haar und eine Augenklappe.
»Bist du glücklich?«
»Klar.«
Langsam keimte der Gedanke in mir auf, sie könnte tatsächlich aus einer Irrenanstalt ausgebrochen sein. Womöglich aus der Abteilung für gemeingefährliche Irre. Gott, anscheinend hatte ich selbst zu oft die Jetzt gelesen.
»Und du? Was machst du eigentlich beruflich?«, fragte ich und hätte mich sofort auf die Zunge beißen können. Das konnte ja nur schiefgehen. Entweder sie war absolut gaga, dann hatte sie sicher keine Arbeit. Oder sie war Staranwältin oder Model oder Sängerin und würde mir gleich den Unterschied zwischen unseren Jobs genüsslich unter die Nase reiben.
»Ich hab vor zwei Wochen bei Dr. Strohmann angefangen, als Zahnarzthelferin.«
Sie und der Strohmann. Natürlich. Sofort sah ich sie in einem hautengen weißen Minikittelchen vor mir, aus dem jedes Mal, wenn sie sich über einen Patienten beugt, ihr üppiger Vorbau herausquillt.
»Mich wundert, dass du keine Patientin von uns bist. Ist doch gleich nebenan.«
Weil ich mir mit einem Monatseinkommen von tausend Euro netto keinen Privatzahnarzt leisten kann? »Weil ich einen anderen, sehr guten Zahnarzt habe.«
»Wen denn?«
Ich konnte mich nicht daran erinnern, überhaupt mal bei einem Zahnarzt – außer einmal am Sonntag in der Notfallsordination – gewesen zu sein. Dieser unangenehmen Antwort wurde ich jedoch entbunden, da sich in dem Moment etwas ereignete, das unser beider Aufmerksamkeit gänzlich für sich beanspruchte. Die Ladentür wurde geöffnet.
Und dann wurde es dramatisch.
Nach einem Vormittag mit Be-De in Höchstform, dem Intermezzo mit Melli und zwei Minuten mit Vanessa hätte ich nicht gedacht, dass es in Sachen Nervensägen noch eine Steigerung hätte geben können. Doch es gab sie. Es gab eine Person, die noch mehr ungebetene Tipps auf Lager hatte als Be-De und die noch schöner war als Vanessa.
Sie kommt doch sonst nie her, fuhr es mir durch den Kopf, als ihr kupferrotes Haar in der stickigen Atmosphäre des Ladens, in dem kein Lüftchen wehte, um ihr Leinwandgöttingesicht tanzte, als stünde sie vor einer Windmaschine.
»Tissi!«
Die grünen Augen schossen Elektroblitze auf mich. »Ich heiße Tira.«
Ich verzog das Gesicht und ließ den Kopf fallen.
Als ich den Kopf wieder hob, wurde es beängstigend.
Tissi/Tira vs. Vanessa.
Zwei hochgewachsene, kurvige Göttinnen in Designerklamotten, die sich fixierten wie Löwenmütter, die ihre Jungen verteidigen. Das Junge war natürlich das Schönheitskrönchen.
Mit zitternden Knien sank ich auf meinen Hocker. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich einen Vorteil darin, zu den Unscheinbaren zu gehören. Mir war fast schlecht vor Erleichterung, mit dieser Sache nichts zu tun haben zu müssen.
Und dann wurde es gespenstisch.
»Aaaah, ist das die neue Pradatasche. Die ist doch noch gar nicht auf dem Markt?!«
»Kontakte.«
»Sind Sie in der Modebranche?«
»Nein, nein, das ist ein persönlicher Gefallen, den jemand von Prada mir macht. Der Verrückte sieht mich als Model, haha. Im richtigen Leben bin ich allerdings Psychologin, Dr. Tira Kis, sehr angenehm.«
Hallo? Hallooo? Wo war der Hass zwischen den beiden geblieben? Wo der Neid?
»Und was haben Sie studiert?« Aha, meine kluge Schwester wusste augenscheinlich sofort, wie sie sich noch einen weiteren Vorteil verschaffen konnte.
Doch auch Vanessa war mit allen Wassern gewaschen. »Publizistik. Allerdings nicht bis zum Doktortitel. Kaum war ich Magistra, da hatte ich schon ein Angebot von der Cosmopolitan, sie wollten mich unbedingt haben. Also bin ich mit dreiundzwanzig nach München gegangen und habe dort bis vor kurzem gelebt. Eine aufregende Zeit, viele Reisen, interessante Begegnungen und so. Aber wissen Sie, irgendwann ist man doch aus dem