am nächsten Tag in den Schuhkarton, der unter meinem Bett stand. Um die achthundert Münzen lagen darin. Er war voll. Kein Platz mehr für weiteres Wechselgeld.
Das war aber nicht der Grund, warum der heutige Besuch beim Piraten der erbaulichste jemals werden musste. Der Grund war wie immer Mama. Und dass sie mir am Sonntag endgültig den Kopf abreißen würde. Und dass heute schon Freitag war!
»Mach dir keine Sorgen, Teddy. Ich beschütze dich. Kein Sonntag der Welt kann dir etwas anhaben, denn du bist eine schöne und starke Frau, die Frau meiner Träume, und ich werde dich auf Händen durch alle Widrigkeiten dieser Welt tragen. Ich liebe dich.«
Ich schloss die Augen. Wenn der Pirat diese Worte tatsächlich zu mir sagen würde, dann könnten mich wahrhaftig sämtliche Widrigkeiten an meinem Hintern lecken. Den Gedanken, dass die Widrigkeiten recht viel zum Lecken hätten, verdrängte ich rasch wieder. Stattdessen ließ ich den Piraten weitere Liebesworte flüstern: »Ich habe noch nie eine Frau wie dich gekannt, Teddy. Du bist einzigartig, und die Tatsache, dass du noch Single bist, muss bedeuten, dass alle anderen Männer auf dieser Welt blind sind.«
Als ich die Augen wieder öffnete, zeigte mir mein Spiegelbild erbarmungslos, dass die anderen Männer wohl eher nicht blind waren, wenn sie mich verschmähten, und dass ich außerdem wieder mal meinen Handrücken knutschte. Ich bückte mich, um den CD-Player auszuschalten, doch dann zog ich meinen ausgestreckten Finger zurück und richtete mich auf. Diesen Song konnte ich nicht unterbrechen. Er war mein Song.
»I traveled each and every highway …« Denn er gab mir das Gefühl, genauso zu leben zu dürfen, wie ich wollte, und am Ende einfach schmettern zu können: »Scheißegal! I did it my way!« Natürlich würde ich erst mal damit anfangen müssen, so zu leben, wie ich wollte, um am Ende meiner Tage mit vollem Anrecht mitsingen zu dürfen, aber in dem Text lag so viel Kraft und Selbstvertrauen, dass ich mich allein schon beim Zuhören stark, ja beinahe todesmutig fühlte.
Seit fünfzehn Jahren arbeitete ich hier, fast die Hälfte meines Lebens, und nie war auch nur ein Tag im Schuhladen vergangen, wo wir nicht vom Aufsperren bis zum Absperren Sinatra gehört hätten. Weil Hans, der ehemalige Besitzer des Schuh-Bi-Dubi-Du, »Ol’Blue Eyes« ja persönlich gekannt und verehrt hatte wie kein anderer. Und es erfüllte mich mit Stolz, seit Hans’ Tod vor drei Jahren persönlich dafür zu sorgen, dass die Tradition aufrechterhalten wurde. Auch wenn das einige Kämpfe mit Bonnie-Denise bedeutete, die viel lieber Katy Perry, oder »wenn schon so was Vorsintflutliches, dann wenigstens Shaggy«, gehört hätte.
Es war so weit. Ich schaltete den CD-Player ab, reckte das Kinn vor und straffte die Schultern. Ich würde jetzt da rübergehen und den Piraten mit meiner unwiderstehlichen Anziehungskraft umhauen. Das konnte doch nicht so schwer sein. Ich musste es nur schaffen, ein bisschen Liebreiz, Anmut und Stolz auszustrahlen. Ich würde es ganz einfach my way tun. Jawohl.
Ich schloss die Tür ab und sah Batman auf der anderen Straßenseite. Er gähnte. Als ich ihm zuwinkte, stand er auf und fing an, aufgeregt hin und her zu tänzeln. Ich signalisierte ihm, indem ich auf mein uhrloses Handgelenk deutete, dass ich heute leider keine Zeit für ihn hatte. Auf der Stelle nahm er wieder seinen Platz ein. Batman war der Einzige, der mich immer verstand.
Ich holte tief Luft, dreimal hintereinander, bis mir schwindelig wurde, dann marschierte ich los. Liebreizend und anmutig. My way. Es sind exakt zwölfeinhalb Schritte vom Schuh-Bi zum Libri Liberi. Ich wusste nicht warum, aber ich zählte sie jedes Mal. Und heute, wo es besonders wichtig war, zählte und ging ich mit geschlossenen Augen. Zehn, elf, zwölf, zwölfeinhalb.
Ich fand es wahnsinnig romantisch, dass ich den Weg so gut kannte, dass ich ihn sogar blind fand, blind nach der Türklinke greifen konnte … ich fasste ins Leere, denn die Türe war bereits geöffnet. Ich stolperte die kleine Stufe ins Geschäft und riss in meiner Panik beinahe den erstbesten Bücherständer um. Das Ganze verursachte einen unglaublichen Lärm, Quietschen meinerseits inklusive.
Der Pirat saß hinter seinem Schreibtisch und sah mich an.
»Oh«, sagte er. Und dann: »Guten Abend.«
»Guten Abend«, flüsterte ich, ließ den Ständer los und verschwand hinter einem Regal. Dort biss ich mir erst einmal auf alle zehn Fingernägel zugleich. So lange bis mir klar wurde, dass das Geräusch, das meine Zähne dabei machten, in dem kleinen Laden widerhallte wie ein Lachanfall in der Kirche. Ich zog die Finger aus meinem Mund und blickte mich vorsichtig um. Niemand sonst war zu sehen, der Pirat und ich waren alleine. Verdammt, Teddy! Liebreizend und anmutig? Shiti!
Doch ich