jetzt täglich kurz mal eben vorbeischauen. War das heute etwa auch einer ihrer kurzen Besuche? Na denn, Vorfreude komme über mich. Soll das zu Hause so weitergehen?
Christoph beruhigt mich. »Das mußt du doch verstehen, sie sind so irre stolz, es ist ihr erstes Enkelkind und sieht mir auch noch so ähnlich, das ist selbstverständlich was ganz Tolles für sie.« Daß sie, also Claudia, ihm angeblich so was von ähnlich sieht, habe mittlerweile auch ich mitbekommen. Inge hat es ja mindestens 97mal in den letzten dreieinhalb Stunden erwähnt. Nach dem Motto: Mehr Glück hätte dieses Kind gar nicht haben können. Angeblich soll die Natur das ja bewußt machen. Daß Babies ihren Vätern ähneln. Nicht für die Schwiegereltern, sondern für die Erzeuger. Um ihnen noch mal deutlich vor Augen zu führen, daß sie die Väter sind. Um jede Unsicherheit aus dem Weg zu räumen. Jeden klitzekleinen Zweifel.
Mütter haben da logischerweise selten Probleme. Viel Ähnlichkeit kann ich bis jetzt nicht feststellen. Bis auf die Nase, die nun eindeutig von meiner Mutter ist. Auch wenn sie diese Tatsache vehement bestreitet.
Langsam beginnt mich der Besucherschwarm anzustrengen. Weniger höflich gesagt: er nervt. Mein Schnitt brennt höllisch, die Giga-Binden rutschen in den Nilpferdunterhosen, und meine Brüste ziehen, weil sie nicht sollen, wie sie wollen. Ich fühle mich mies. Emotional aufgeheizt und körperlich in drittklassiger Verfassung. Schrottig. Christoph, der manchmal erstaunlich lichte Momente hat, erkennt augenblicklich den Ernst der Lage und zerrt seine Eltern aus dem Raum. Seine gute Tat des Tages. Wir genießen immerhin 10 Minuten ganz für uns. Die Kleinfamilie. Mama, Papa und das Kind. Christoph und ich vereint in dem Bewußtsein, daß zwei doch so relativ ungeschickte Menschen, wie wir es sind, so was auf den ersten Blick ziemlich Perfektes hinbekommen haben.
Ein Blitzlicht schreckt uns aus unserer selbstgebastelten Idylle auf. Meine Schwester. »So etwas muß der Nachwelt erhalten bleiben«, frotzelt sie gleich los. Was hat die denn da an ihrem Kleid hängen? Es ist das Kind. Ihr Kind. Oh Gott, Desdemona. Mona ist mit. Das hat mir heute noch gefehlt. Nicht, daß Mona nicht niedlich wäre. Aber sie ist von der Sorte Kind, die es versteht, 4 bis 7 Erwachsene auf Trab zu halten. Im Moment suhlt sie sich allerdings in Schüchternheit, die sonst weniger ihr Problem ist. Meine Schwester hat, immerhin nachdem sie sich davon überzeugt hat, daß ich die Geburt überlebt habe, nur noch Augen für Claudia. »Deins war hübscher«, komme ich ihr entgegen. Ehrlich gesagt, ist es sogar wahr. »Nein, das hier ist das perfekteste Wesen, das ich je gesehen habe«, zeigt sich Birgit von ihrer charmantesten Seite. Großmütig halt. Dummerweise hat Desdemona gehört, was meine Schwester da von sich gegeben hat, und ist total von der Rolle. Kein Wunder, wenn man so unsanft und brutal vom Thron geschubst wird. 5 Jahre lang friedlich und überlegen geherrscht, und das soll durch ein rotgesichtiges Etwas beendet werden. Diese wunderbare Zeit. Noch dazu so abrupt.
Desdemona tritt energisch an Claudia heran. »Igitt, ist die zerknittert«, plärrt sie mir entgegen. »Eklig«, befindet sie in einer höchst hysterischen Tonlage.
Claudia, anscheinend ein durchaus sensibles Etwas, fängt an zu schreien. Als Birgit jetzt auch noch Geschenke für mich und Claudia aus ihrer Handtasche holt – eine Jil-Sander-Tasche, »aber ganz günstig secondhand erstanden« –, da hört es für Mona echt auf. Mit Schmackes wirft sie sich auf den Boden und mutiert wieder zum Baby. Zu einem der besonders unangenehmen Sorte. Von Eifersucht gequält, rollt sie sich am Boden. »Mona, hilfst du mir die Päckchen aufzumachen?« versuche ich sie aus ihrem Anfall zu befreien.
Manchmal brauchen sie nur Hilfe. Hilfe raus aus ihren Attacken. Habe ich gelesen. In einer Elternkolumne. Man darf ihnen, bei welchem Affentanz auch immer, keine schmieren, sondern muß ihnen aus der Situation heraushelfen. Lieber als: »Willst du mir beim Auspacken helfen«, hätte ich »Halt jetzt mal den Rand« gesagt, aber eigentlich mag ich meine Nichte gern, und daß die Situation recht unerfreulich für sie ist, kann ich gut verstehen. Birgit, meine Schwester, sollte an sich noch mehr Verständnis für ihr Kind haben. Schließlich ist es ihr ähnlich gegangen, als ich auf die Welt kam. Das Gute an mir war nur, daß ich ihr sowieso nicht das Wasser reichen konnte. Das hat sie blitzschnell erkannt und aus mir einen ihrer treuen Leibeigenen gemacht. Die ersten Jahre meines Lebens bin ich wie ein kleiner Trottel hinter ihr hergewatschelt. Habe sie angebetet. Das hat sich allerdings mittlerweile etwas gelegt. Aber so ganz raus aus meiner Rolle werde ich wohl nie mehr kommen. Desdemona weiß anscheinend noch zu wenig über die Möglichkeiten,