Andrea heißt wie der Sohn von dieser Gudrun, muß doch unser Erstgeborenes nicht gerade Claudia heißen. Ich sehe sie vor mir, furztrocken, langweilig, schlechte Dauerwelle, Bankangestellte«, hat er rumgenölt. Das kann er übrigens super. Nicht richtig ausrasten, toben, streiten und schimpfen, sondern eher larmoyant lamentieren. War mir aber egal. Über Kleinigkeiten diskutiere ich nicht gerne. Wo kommen wir denn da hin. Wir sind ja nicht mal verheiratet.
Wenn er mir in zwei Jahren durchbrennt, sitze ich mit einer Anna Lisa da und wollte eigentlich ’ne Claudia. Nee.
Dr. Wiedmann ist fertig mit Nähen. »Nadelarbeit hab ich schon immer gemocht«, versucht er zu scherzen. »Schön, daß ich Ihnen doch noch so eine Freude bereiten konnte«, versuche ich einen ironischen Konter, der aber leider verhallt, da wir, die neue Kleinfamilie, Vati, Mutti und das Kind, in einen sogenannten Aufwach- und Ruheraum geschoben werden.
»Ich will nicht ruhen, sondern essen, und gib das Baby her«, raunze ich Christoph an. Er legt mir unsere Tochter auf den Bauch. So gewaschen und angezogen sieht sie schon besser aus. Schulnote 3– würde ich sagen. Viele Haare, aber auch viel Nase. Modell Steckdose. Volle Lippen. Glück für das Kind. Ich habe dieses Modell Strich im Gesicht. Schmale Lippen eben. Was das bedeutet, weiß jede: »Ich bin nicht wild und leidenschaftlich, Sinnlichkeit ist mir fremd, ich bin kalt, berechnend und liebe die Macht.« Ist nicht von mir, habe ich aus einem Psychotest – »Was mein Gesicht über mich verrät«. Danke, Gesicht, wirklich toll, so eine Ausstrahlung.
»Christoph, ich habe Hunger, einmal die Eins und dazu das ein oder andere Blatt Salat«, beauftrage ich meinen Lebensgefährten.
»Wie kannst du in einem solchen Moment an Essen denken, in diesen ersten Minuten unserer neuen Familie. Soviel Romantik und Emotion, und du willst dich schon wieder vollfressen, unglaublich«, antwortet der Mann, der es sonst mit Romantik und ähnlichem nicht so hat. Typisch. »Und außerdem, wolltest du nicht direkt nach der Geburt mit der Diät beginnen?«
Jetzt ist aber wirklich Schicht. Der hat sie wohl nicht alle.
»Hör mal, willst du mich sofort nach der Entbindung zur Alleinerziehenden machen, weil ich dich ja leider wegen seelischer Grausamkeit verlassen muß, oder was soll der Scheiß? Schaff mir ’ne Pizza bei, allzuviel hast du ja die letzten Stunden ansonsten nicht zu tun gehabt.« Mann, was der einem auf den Geist gehen kann. Manchmal frage ich mich echt, wieso ausgerechnet ich bei diesem Modell Mann hormonelle Schwächen gezeigt habe. »Los, geh«, keife ich ihn an. Just in diesem Moment erscheint Muffkopp der Nähfreak in unserem Ruheraum. »Progesteronmangel, Herr Schnidt, haben alle nach der Geburt, sinkender Hormonspiegel hat Übellaunigkeit zur Folge. Ganz normal.« Die beiden tauschen Wir-haben’s-nicht-leicht-wir-Männer-Blicke aus. »Wir bringen Sie und Ihre Tochter jetzt mal aufs Zimmer, Frau Schnidt, und da gibt’s dann auch bald lecker Abendessen.«
»Wie immer im Krankenhaus«, zische ich und lasse mich gottergeben zum Lift rollen. Unterwegs rennt Christoph fast in einen werdenden Vater rein. Ungeschicklichkeit hat einen Namen: Christoph. Der Fremde beugt sich übers Bett, als wäre er einer meiner nächsten Verwandten, und strahlt mich an. »Oh, schöne Kind – wie heißt?« –
»Claudia Schnidt«, antworte ich höflich. Der Mann, anscheinend Grieche, klopft Christoph herzlich auf die Schulter und brummt ein: »Macht nichts, nächstes Kind vielleicht Junge.«
Urlaub in Griechenland ist für mich ab sofort gestorben. Ich mag das Essen eh nicht. So fett. Was bildet dieser Idiot sich eigentlich ein. »Ach, Hauptsache gesund«, preßt Christoph hervor und lächelt diesen unverschämten Zeitgenossen auch noch an. Wie schnell Männer sich verbrüdern, ist mir schon immer ein Rätsel gewesen.
Claudia fängt an zu schreien. Nein, zu brüllen. »Unsere Tochter hat Hunger, ja, Mausi Maus, gleich gibt’s Essen, du süße kleine Schnuckelliesel«, entschuldigt sich Christoph bei dem Griechen, und wir rollen weiter. »Station B, Zimmer 3.« Eine Krankenschwester mit leichtem Oberlippenbart erklärt uns, wo wir hingehören. »Hier rein, und geben Sie die Kleine mal her.« Eben rausgepresst, schon weg.
Natürlich ist der Fensterplatz im 3-Bett-Zimmer schon belegt. Ich liege in der Mitte. Mitte ist immer Mist. Das weiß ja wohl jeder. »Hallo, mein Name ist Schnidt«, stelle ich mich vor. »Tratschner, sehr angenehm«, ruft die Fensterfrau. »Ich bin die Inge«, sagt die am Waschbecken. »Christoph, sei nett und rufe auf dem Weg zur Pizzeria meine Eltern, meine Geschwister und Sabine an. Und organisier mir ein Telefon.« Klare Anweisungen sind die halbe Miete. Davon bin ich überzeugt. »Hast du Kleingeld da?« fragt mich der Kindsvater. Der Mann hat studiert und denkt trotzdem, irgendwo in meiner Einmalnetzunterhose oder unter meinem rückenfreien Kittel könnte ich noch ein paar Münzen haben. Promovierter Jurist auf der Suche nach Kleingeld bei einer