aufgeputscht und emotional erregt, wie wir Jungmütter sind, wäre ein netter Meetingraum doch das mindeste. Aber was nicht ist, ist halt nicht. Also, zurück ins Bett. Wie ein gerüffeltes Kind schleiche ich mich in mein Zimmer. Beim Rauchen auf dem Klo erwischt. »Huhu«, zischt es vom Waschbecken. Die Müller-Wurz ist auch wach. »Kannst du auch nicht schlafen«, überprüfe ich die Lage. »Ne, und du wirst auch gleich wissen, warum«, kommt es prompt und vielsagend zurück. Kaum hat sie geantwortet, höre ich es. Die Tratschner hat nicht nur Probleme mit ihrem Verdauungsapparat. Sie schnarcht auch noch. Nicht mal rhythmisch. Na prima. Das kann ja eine wunderbare Restnacht werden. »Das kommt alles vom Kaiserschnitt, so ein Eingriff ist letztlich wider die Natur. Der Körper haßt es und wehrt sich auf seine Art«, versucht Esoterik-Inge eine Erklärung. »So, so«, murmele ich und denke, daß Christophs Schnarchen nun wenigstens ein Gutes hat. Ich bin in dieser Hinsicht abgehärtet.
Eine wirre Esoterik-Laienphilosophin und eine darmfixierte Schnarcherin: Im nächsten Leben oder beim nächsten Kind (das 100prozentig auch erst in meinem nächsten Leben zur Debatte steht) werde ich Privatpatientin, das ist sicher.
Aber Inge hat was Einschläferndes. Immerhin. Ihre Stimme. Sanft und monoton. Sie lullt mich ein. Ich höre nur noch Wortfetzen. »Waldorfkindergarten, Antroposophen, anale Fixierung durch Töpfchenzwang, Mullwindeln.« Weg bin ich.
»Frühstückszeit, die Damen«, ruft Schwester Hubertas laute Stimme in den Raum. Ich werde wach. Das bedeutet, ich habe tatsächlich geschlafen. Hunger habe ich auch. Mal gespannt aufs Frühstück. Deckel vom Tablett runter. Da kommt die Ernüchterung. Eine Scheibe Graubrot, im wahrsten Sinne des Wortes, Butter und eine gelbliche Marmelade. Ich mag lieber rote. Na ja, hoffentlich ist es wenigstens Aprikose. Ich dippe mit dem Finger, und es ist Quitte. Ich hasse Quittenmarmelade. Gelee ist allerdings noch fieser. Dann eben ein Butterbrot. Schwester Huberta bemerkt mein muffiges Gesicht: »Für morgen können Sie sich was wünschen, ich bringe Ihnen später die Auswahllisten. Am ersten Tag gibt’s immer Standardfrühstück. Aber nicht grämen, dafür haben wir einen ganz besonderen Nachtisch.« Mann, ist die munter, und das um 6.30 Uhr! Ich bin eher ein Morgenmuffel. Diese extrem gutgelaunten Menschen, die frühmorgens aus dem Bett springen: »Hallo, Tag, hier bin ich«, gehen mir auf den Keks. Ich spreche nicht gern vor dem Frühstück. Erst Kaffee, dann Gerede. Wenn es nach dem Kaffee auf meinem Tablett ginge, dürfte ich heute gar nichts sagen. Eine Brühe, die aussieht und leider auch schmeckt, als hätte man einen alten Spüllappen in lauwarmem Wasser geschwenkt. Da ist auch mit Milch nichts zu retten. Ich verziehe das Gesicht. »Ist koffeinfreier«, lacht Schwester Huberta, »bekommt den Stillenden besser.« – »Ich stille nicht, und außerdem brauche ich das Koffein«, entgegne ich. Langsam verstehe ich, warum neuerdings jede Menge Frauen ambulant entbinden. Es liegt am Krankenhaus-Catering. Schwester Huberta erhebt lächelnd den Zeigefinger: »Ja, ja, von Ihrer Vorliebe für Genußwaren habe ich schon gehört.« Schwester Christel ist nicht nur eine der letzten lebenden Moralapostelinnen, sondern auch noch eine Petze. Harmlose rosa Namensschildchen tragen und dann so was. Eine ausgebuffte Person. Aber das ist ja oft so. Die, die am unschuldigsten wirken, sind die abgebrühtesten und raffiniertesten. War schon in der Schule so. Stephanie, ein immer adrett gekleidetes Mädchen, die noch mit 15 Samthaarreifen und weiße Kniestrümpfe trug und jedesmal knallrot anlief, wenn’s darum ging, wer mit wem geht und wer schon mal und wer noch nicht. Ich werde nie vergessen, wie sie, als wir mit unseren ersten Pettingerlebnissen angegeben haben, empört aus dem Mädchenklo gerannt ist. Panisch geradezu. Ein Jahr später hat sie wegen Schwangerschaft die Schule verlassen. Und die Krönung: 3 Jungs aus der Abschlußklasse mußten zum Vaterschaftstest. Soviel zu den optischen Unschuldslämmchen.
Frau Tratschner versucht, mich aufzumuntern. »Unten in der Cafeteria in der Halle kann man sich Kaffee holen. Richtigen, echten Kaffee.« Inge fällt ihr sofort ins Wort: »Ich trinke nur den Trans-Fair-Kaffee oder den aus dem Dritte-Welt-Laden, aus Nicaragua. Alles andere ist Ausbeuterei. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die da unten Trans-Fair-Kaffee ausschenken. Und das wollen wir ja wohl nicht unterstützen.« Für meine morgendliche Dosis Koffein würde ich selbst davor momentan nicht zurückschrecken. »Ach Kinders, habe ich gut geschlafen heute nacht«, verkündet Frau Tratschner, und freudig erregt fährt sie fort: »Und ob ihr’s glaubt oder nicht, heute wird’s passieren, ich habe es geträumt, mir grummelt’s auch schon so im Bauch. Da ist ganz schön was am Anrollen.« Na Spitze, ein gammeliges Graubrot mit Quittenmarmelade (die ich im verpennten Zustand aus Versehen doch aufs Brot geschmiert habe) und dazu Frau Tratschners Visionen von nahender Verdauung, besser kann ein Frühstück ja nicht schmecken.