Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,53

das Gespräch beendet gewesen.

Ich bat Hamid, das Taxi gegenüber, auf der anderen Seite des kleinen Parks, abzustellen und den Motor auszuschalten. Der Park mit seinen Bäumen, Sträuchern und abgedunkelten Laternen bot einen guten Sichtschutz. Ich hatte nicht die Absicht, an der Tür zu klingeln. Ich wollte auf keinen Fall überfallartig auftauchen und meinen Irrtum von Jätkäsaari wiederholen, an den mich immer noch meine Rippen erinnerten. Es erschien mir klüger, erst mal die Situation abzuschätzen, mich zu Fuß zu nähern, eine Weile in der dunklen Nacht abzuwarten und dem Regen, dem beruhigenden Trommeln der Tropfen auf den feuchten, toten Blättern zu lauschen.

Links des Ziegelbaus waren es nur zehn Meter bis zum Nachbarhaus. Rechts hingegen stand ein breiter Streifen Wald, und erst nach etwa siebzig Metern folgte das nächste Haus. Das Licht aus seinen Giebelfenstern schien fröhlich durch die Zweige.

Ich überquerte die Straße und ging zu dem Wäldchen. Der nasse Sand knirschte und quietschte unter meinen Füßen, auch wenn ich mich noch so sehr bemühte, leise aufzutreten. Der Wegrand war trockener und leiser. Weiter vorn zweigte ein Pfad zum Haus ab, er führte bergauf und war von Baumwurzeln durchsetzt, so dass ich aufpassen musste.

Die Hinterhöfe waren nicht umzäunt. Der Rasen begann an den Hintertüren und reichte bis zum Waldrand. Ich starrte eine Weile auf die Fenster, konnte nirgendwo eine Bewegung erkennen und überquerte schließlich die fünfzehn Meter Rasen. Erst kurz vor dem Ziel sah ich, dass die hintere Tür zu Gromows Wohnung einen halben Zentimeter offen stand.

Ich blieb stehen und lauschte. Der Regen klopfte aufs Fensterbrett und auf die Platte des Gartentisches und rauschte im Wald. Irgendwo beschleunigte ein Auto, wurde langsamer und beschleunigte erneut. Stimmen waren nicht zu hören. Die Luft roch leicht säuerlich, als wäre die Erde zu feucht und zu oft eingeweicht und durchtränkt worden.

Ich öffnete die Hintertür geräuschlos. Das kleine Kaminzimmer war gemütlich und üppig, aber geschmackvoll eingerichtet. Ich durchquerte es und gelangte ins Wohnzimmer, das nach vorn, zur Straße hin, in Essplatz und Küche überging. Von draußen fiel der Schein der Straßen­lampe herein. Lange Schatten malten dunkle Verstecke auf Fußboden und Wände, und ich blieb stehen, um zu horchen. Das einzige Geräusch weit und breit verur­sachte mein Herz, seine Schläge hallten von den mit Fotos bedeckten Wänden wider. Ich ging zu der Treppe, die nach oben in das dämmerige Licht führte, das ich schon von der Straße aus gesehen hatte.

Ich erklomm Stufe für Stufe, sah eine Nachttischlampe, die den Raum matt erhellte, und hörte rechts vor mir eine gequälte und erstickte Stimme:

»Wer ist da?«

Ich erkannte Gromows Stimme, obwohl sie so rau und gehetzt klang, als wäre er außer Atem. Als ich ins Zimmer trat, erschraken wir beide. Ich schreckte zurück, Gromow rührte sich nicht. Er lag im Bett, vollständig bekleidet, Arme und Beine ausgestreckt, und sein Körper war nass von Blut. Das Bett um ihn herum war wie ein Pool, in dem er schwamm. Im Raum roch es nach Exkrementen und etwas, das an rohes Fleisch erinnerte.

»Ich spüre meinen Körper nicht«, sagte er mühsam.

Ich sah auf den in seinem Blut schwimmenden Gromow, dabei rief ich mir ins Gedächtnis, warum ich gekommen war. »Wo ist Johanna?«

»Ich spüre meinen Körper nicht«, wiederholte er, so als hätte er meine Frage überhaupt nicht gehört.

»Wassili, hör mir zu. Bist du allein hier? Ist Johanna hier gewesen?«

Gromow stieß einen rasselnden Laut aus, der in einem Husten endete und ihn beinah erstickte.

»Wassili«, sagte ich. »Du musst mir helfen. Ich suche Johanna, und ich weiß, an welcher Story sie arbeitete. Ich weiß Bescheid über den Heiler und über Pasi Tarkiainen.«

Ich trat ein paar Schritte näher bis zur Höhe seiner Taille. Mitten auf seiner Brust sah ich eine Vertiefung, die dunkler als Blut war. Gromows Gesicht war überraschend ruhig, angesichts dessen, dass seine Brust ihr eigenes zuckendes und vibrierendes Leben führte. Er schien gelähmt zu sein. Vielleicht hatte sich die Kugel, die seinen Brustkorb aufgerissen hatte, ins Rückgrat gebohrt.

»Ich weiß alles«, fuhr ich fort. »Ich habe hier die E-Mail, die du an Johanna geschickt hast.«

Ich wollte mein Handy aus der Tasche holen, um ihm den Text zu zeigen, doch da fing er an zu sprechen.

»Es gibt noch mehr. Mehr als Tarkiainen.«

Ich ließ das Handy wieder zurückgleiten. Gromows Augen blickten jetzt suchend. Er sagte etwas, das ich nicht verstand, und so beugte ich mich über ihn. Nach einem Weilchen verstand ich. Liebe.

»Ich habe es aus Liebe getan«, sagte er.

»Was?«, fragte ich. »Was hast du aus Liebe getan?«

Er bekam nicht richtig Luft und musste seine wenigen Worte sorgfältig wählen. »Johanna. Ich wollte sie überzeugen, dass ich sie immer

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