Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,45

der Werte und die allgemeine Sexualisierung reden. Aber all das weißt du und sämtliche anderen bierernsten Leute besser. Wie dem auch sei, wir versuchen eine Zeitung zu machen. Wir haben Seiten, die wir füllen müssen, mit Fotos, die nach Nachrichten aussehen, und mit Texten, die die Leute interessieren. Und was interessiert sie? Heute eine Sängerin und ihr Pferd. Morgen, wenn es nach uns ginge, wie eine Prominente Ladendiebstahl begeht und sich entblößt. Wir haben Fotos einer Überwachungskamera, fast Nahaufnahmen, auf denen sich diese Frau einen Tonträger in den Slip steckt und dabei fast alles zeigt.«

»Gratuliere«, sagte ich.

»Kannst du dir deinen Sarkasmus leisten?«, fragte Lassi. »Du bist ein Dichter, dessen populärstes Buch sich weniger als zweihundert Mal verkauft hat. Wir verkaufen täglich mindestens zweihunderttausend Ausgaben.«

»Du bist erleichtert, dass Johanna verschwunden ist.«

»Erleichtert ist das falsche Wort«, Lassi schüttelte erneut den Kopf.

»Das ist noch nicht alles«, sagte ich.

»Natürlich nicht.« Lassi lachte, und dieses Lachen war jetzt offenkundig überheblich. Er sah mich amüsiert an. »Du kannst dir ausmalen, was du willst. Schreib einen neuen Gedichtband, pack alle noch so wilden Phantasien mit hinein.«

Ich beugte mich vor, stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Ich weiß, dass du ein Freund von Pasi Tarkiainen bist. Zumindest ein ehemaliger.«

Das saß. Lassis antrainierte zynische Miene bekam einen Riss. Ein kurzer Ausdruck von Unsicherheit zeigte sich, ehe sich die Fassade über dem Riss rasch wieder schloss. Im Stillen dankte ich Kommissar Jaatinen für seine Informationen.

Lassi musterte mich eine Weile, ehe er sprach. »Ein ehemaliger.«

»Ihr habt in derselben Unihockeymannschaft gespielt«, sagte ich.

»Ich bin einerseits erstaunt darüber, dass ein Märchenonkel wie du so etwas herausfindet, aber andererseits bin ich auch ziemlich genervt. Weißt du warum?«

Ich schüttelte den Kopf und legte die Hände auf den Tisch.

»Auch wenn ich es versuche«, fuhr Lassi fort, »sehe ich darin überhaupt keine Information. Was ist schon dabei, wenn ich mit einem Wie-hieß-er-noch-gleich zusammen Floorball gespielt habe?«

»Du erinnerst dich nicht mal an seinen Namen? Obwohl du extra betont hast, dass du ein ehemaliger Freund von ihm bist?«

Lassi seufzte, er verbarg sich wieder hinter seiner Rolle des müden, angeödeten Zeitungsmannes und Vorgesetzten und faltete die Hände vor der Brust.

»Pasi Tarkiainen war dein Freund, euch haben die gemeinsamen radikalen Aktionen verbunden«, sagte ich. »Die Unihockey-Geschichte habe ich zufällig heraus­gefunden, als ich dich und ihn zusammen in die Bildsuche eingab. Von anderen Quellen weiß ich, dass du Mitglied in einer der radikalsten Klimabewegungen warst. Und als ihr Freunde wurdet, hat sich auch Tarkiainen dieser Bewegung angeschlossen, stimmt’s? Ihr wart jung, und in dem Alter glaubt man, dass man die Dinge durch eine Bombenexplosion ändern kann. Bildlich und wörtlich.«

Lassi sah mich an, das Gesicht wie verschlossen von einem Grundausdruck, hinter dem man fühlen und denken kann, was man will.

Ich fuhr fort: »Und als vor fünfzehn Jahren im Hauptsitz von Fortum eine Bombe hochging, wurdest du verhört. Neben Tarkiainen. Keiner von euch wurde angezeigt, weil man euch nichts nachweisen konnte. Trotzdem willst du es tunlichst verhindern, dass deine Vorgesetzten davon erfahren. In deiner Vita steht nichts von einem Bombenanschlag auf Fortum.«

Lassi ließ den Blick zum Fenster schweifen, ehe er sprach. »Irgendjemand hat mal gesagt, dass man nicht gelebt hat, wenn man in seiner Jugend nicht Idealist gewesen ist, dass man aber auch nichts aus seinem Leben gelernt hat, wenn man im Alter nicht konservativ geworden ist. Dem sei hinzugefügt, dass ich in diesem Zusammenhang den Konservatismus als Realismus, als Anerkennung der Tatsachen betrachte. Und deine Informationen stimmen insofern, als ich in jungen Jahren Idealist war. Was das andere betrifft, kannst du mich gern am Arsch lecken.«

Ich nickte und fragte mit weicher Stimme: »War Tarkiainen in seiner Jugend auch Idealist? Und ist er heute ein genauso zynisches Arschloch wie du?«

Lassi hatte sein überhebliches Lächeln wiedergefunden und benutzte es. »Pasi Tarkiainen ist vor Jahren gestorben. Entweder als Idealist oder als zynisches Arschloch. Ich weiß es nicht, und es interessiert mich auch nicht. Was hat er überhaupt damit zu tun?«

»Möglicherweise eine ganze Menge. Und du hast schon wieder gelogen. Seit wann weißt du, dass Tarkiainen nicht tot ist?«

Lassis Grinsen entgleiste ein wenig. Er kratzte sich die Nasenwurzel. Vielleicht wirkte er sogar eine Spur besorgt. »Ist das eine Fangfrage?«

»Nein«, sagte ich, »das ist eine direkte Frage, die mit Johanna zu tun hat. Und damit, dass du dich sträubst, nach ihr zu suchen, und dass du absolut nicht daran interessiert bist, eine Story zu machen, die dir garantiert Leser bescheren würde. Stell dir das vor: brutal ermordete Familien, eine verschwundene attraktive Journa­listin und eine überforderte Polizei. Geradezu aus dem ABC der Medienwirksamkeit. Wirst du von Tarkiainen erpresst?«

Lassi lachte,

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