Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,44

älterer Herr fragte mich auf Englisch mit spanischem Akzent, ob er sich einige Stühle nehmen dürfe. Ich gab alle bis auf ­einen frei. Der Stuhl war reserviert für Redaktionschef Lassi Uutela.

Das Brötchen war trocken, und zwischen den Hälften steckte die dünnste Käsescheibe, die ich je gesehen hatte. Eine dünnere hätte ich gar nicht mehr gesehen. Lassi kam, als ich mein Brötchen gegessen und meinen Kaffee getrunken hatte.

Er reichte mir die Hand, sah mir nur flüchtig in die Augen, setzte sich auf den Stuhl, schlug das linke Bein über das rechte, glättete sich mit der rechten Hand das Haar und strich sich bei der Gelegenheit auch über die Bartstoppeln. Dann griff er nach seinem Löffel und rührte seinen Kaffee um.

Er sah so müde und frustriert aus wie am Vortag, wobei mir jetzt klarwurde, dass dieses stilvoll verlotterte und vernachlässigte Äußere ihm eine Oberfläche bot, hinter der er seine Schlüsse ziehen und auf Zeit spielen konnte, ohne seine eigenen Gedanken oder nächsten Schritte zu verraten. Der erschöpfte, aber zähe Zeitungsmann, dessen Augen blutunterlaufen waren und dessen Bartstoppel, von stets passender Länge immer passend blaugrau schimmerten, war nur eine Rolle, die sich ein erfahrener Spieler selbst maßgeschneidert hatte.

»So ein Scheißtag heute. Bei uns herrscht das totale Chaos, viele Storys laufen gleichzeitig auf«, sagte er und nickte in Richtung Verlag. »Deshalb wollte ich dich lieber hier treffen, damit wir Ruhe haben.«

»Hm«, sagte ich und sah mich um. Die vielen verschiedenen Menschen, die unzähligen Sprachen und der ganze Lärm im Café boten zwar eine angenehme Kulisse für ein Treffen, aber ruhiger wäre es bestimmt woanders gewesen. »Ich habe heute die Zeitung nicht gelesen, aber sie enthält bestimmt die Story über die Sängerin und das Pferd, über die wir gestern gesprochen haben.«

Lassi sah mir immer noch nicht in die Augen. »Willst du mir ein Lob für gelungenen Journalismus aussprechen?« Er schlürfte seinen Kaffee und blickte mich plötzlich fest an.

»Warum haben wir uns nicht bei dir auf der Arbeit getroffen?«, fragte ich.

»Wie ich schon sagte«, seufzte er, stellte die Tasse sanft ab und schob sie ein paar Zentimeter von sich, »hier ist es ruhiger.«

»Erst antwortest du nicht auf meine Anrufe, aber wenn ich zu dir in die Redaktion kommen will, meldest du dich und verabredest ein Treffen außer Haus. Das bringt mich ins Grübeln. Wer von den Mitarbeitern soll mich nicht sehen?«

Er sah mich fragend an und benutzte wieder seine müde zynische Miene, um zu signalisieren, dass er einerseits neugierig, aber andererseits auch wahnsinnig ge­nervt war von meiner Dummheit und Penetranz.

»Wer darf nicht wissen, dass Johanna verschwunden ist und ihr Mann nach ihr sucht?«, fragte ich.

Lassi schwieg kurz. »Hm«, sagte er dann. »Keine Ahnung, wovon du sprichst.«

»Na schön, vergessen wir das für einen Moment. Sag mir, warum du mich angerufen und mir erzählt hast, dass Gromow tot ist.«

Jetzt sah er mich fast mitleidig an. »Ich wollte dir helfen«, sagte er.

»Das ist alles?«

»Ja, alles«, seufzte er.

»Ich erinnere mich nicht mehr an den genauen Wortlaut, aber du hast davon geredet, dass man sich bei euch um die Mitarbeiter kümmert.«

»Stimmt«, sagte Lassi.

»Dann sag mir, warum du nichts tust, obwohl Johanna verschwunden ist. Du weißt, dass Gromow tot ist. Das heißt, dass auch Johanna in irgendwelchen Schwierigkeiten steckt, die möglicherweise mit den Familien­morden zusammenhängen. Warum berichtest du nicht darüber in deiner Zeitung?«

»Du bist Lyriker, Tapani. Ein Journalist würde zum Kern der Sache vordringen, sich überlegen, was die Wahrheit ist, und darüber berichten. Du entwickelst Geschichten, Märchen und Bilder und erfindest Dinge. Andererseits ist Phantasie eine feine Sache, die wird heutzutage gebraucht.«

»Kein einziger Nachrichtenchef verzichtet auf solch eine Story«, sagte ich.

»Ich sehe darin keine Story.«

»Du willst sie nicht sehen. Ich möchte den Grund wissen.«

Lassi lehnte sich zurück. »Du klingst wie deine Frau«, sagte er. »Und das ist kein Kompliment.«

»Was hast du gegen Johanna?«

Er schüttelte den Kopf. »Die Frage muss lauten«, sagte er, »was Johanna gegen mich hat.«

»Ich könnte mir vorstellen, dass es unter anderem diese Einstellung ist.«

»Ich versuche eine Zeitung zu machen.«

»Möchte Johanna das etwa nicht?«

»Nicht dieselbe Zeitung. Ich habe dir unsere Situation geschildert. Manche kapieren das, andere nicht.«

»Und Johanna nicht?« Ich blickte nach draußen. Der Nebel sah aus, als wollte er das Fenster eindrücken.

»Absolut nicht«, sagte Lassi und lehnte sich noch weiter auf seinem Stuhl zurück. »Wir leben in ziemlich schwierigen Zeiten. In vielerlei Hinsicht. Aber eines ist wohl inzwischen klar. Eine Wahrheit, die von ein paar Journalisten wie Johanna gesucht wird, existiert einfach nicht mehr. Es gibt nichts, worauf sich diese Wahrheit stützen, begründen, woraus sie wachsen würde. Ich könnte lang und breit über das Ende der Geschichte, den Verfall

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