Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,46
aber diesmal überraschend kraftlos. Er antwortete nicht und sah mir nicht in die Augen.
»Letzte Frage«, sagte ich. »Kommen wir wieder zu meiner Anfangsfrage: Warum können wir uns nicht bei dir im Verlag treffen?«
12 Johanna war beruflich unterwegs, als wir uns zum ersten Mal begegneten. Sie machte damals eine Reportage über Bibliotheksschließungen, und ich war ein Nutzer, den sie interviewte.
»Bist du öfter hier in der Bibliothek?«, fragte sie, als wir in der Eingangshalle standen. Sie merkte selbst, wie verfänglich ihre Frage klang.
Ich nutzte die Gelegenheit und fragte meinerseits: »Kennen wir uns nicht irgendwoher?«
Johanna errötete in der für sie typischen Art, hauchzart und nur für einen flüchtigen Moment. Sie notierte meine Antworten auf ihrem Block, bedankte sich am Ende des Gesprächs und wollte sich schon abwenden, als ich sie fragte, wie oft sie selbst in die Bibliothek kam.
Sie lächelte ein wenig, als sie sich wieder zu mir umdrehte.
»Zwei Mal in der Woche«, sagte sie.
In diesem Moment fielen mir ihre Augen auf. In ihnen sammelte sich das ganze Licht der Sonne, die gerade draußen vor den hohen Fenstern unterging. Es war, als würde alles Licht der dämmerigen, bald dunkel werdenden Welt aus den Augen dieser jungen Journalistin leuchten.
»Was liest du denn so?«, fragte ich.
Sie überlegte kurz. »Hauptsächlich Sachbücher«, sagte sie und schien sich um eine ehrliche Antwort zu bemühen. »Alles, was mit der Arbeit zusammenhängt, direkt und indirekt.«
»Geschichte?«
»Manchmal.«
»Belletristik?«
»Manchmal.«
»Gedichte?«
»So gut wie nie.«
»Warum nicht?«
»Es ist mühsam. Besonders die neuere Lyrik. Absichtlich schwer verständlich geschrieben. Wer will schon so etwas lesen wie ›an der Seite des Fohlens galoppiert das Herzblut durch den ewigen Mondschein, und das zarte Taschentuch der Hufe streift über die Lakritzstirn‹, und dann noch so tun, als würde ihm das was geben.«
»Okay«, sagte ich. »Erinnerst du dich, welche Autoren oder Lyrikbände du gelesen hast?«
Sie sah mich mit ihren wunderbaren Augen an, nannte ein paar Gedichtbände und schüttelte den Kopf. Ich stimmte ihr zu, was die Verständlichkeit mancher Lyriker anging. Aber Gedichte hätten auch ihr Gutes, und ich wisse sogar einige großartige Bände, die sie sicher dazu bringen würden, ihre Meinung zu ändern oder zumindest festzustellen, dass es von Autor zu Autor Unterschiede gebe.
»Liest du die denn?«, fragte Johanna ein wenig ungläubig.
»Ja, ich lese die«, sagte ich und betonte dabei das letzte Wort.
Wir lächelten uns eine Weile an, das Licht tanzte in ihren Augen.
»Du kannst mir sicherlich ein Buch empfehlen, das mich dazu bringt, meine Meinung zu ändern.«
»Vielleicht«, erwiderte ich.
Sie folgte mir in die Lyrikabteilung, ich spürte ihren Blick im Nacken. Das Gefühl war nicht unangenehm. Ich stellte mir vor, wie das blaugrüne Licht aus ihren Augen wie ein Regenbogen auf mich strahlte.
Wir kamen ans Lyrikregal, ich nahm einige Werke finnischer Dichter und schob zuletzt mein eigenes unter den Stapel. Johanna trat zu mir und lauschte – wenn nicht interessiert, so doch zumindest interessiert wirkend –, wie ich von den Eigenheiten eines jeden Verfassers erzählte und jeweils eines seiner Gedichte vorlas, um meine Aussage von der Verständlichkeit und der Klarheit der Sprache zu untermauern.
Johanna trug an diesem Tag weitgeschnittene Jeans, einen schwarzen Rollkragenpullover und Schnürstiefel. Und als wir da so nahe beieinanderstanden, spürte ich unwillkürlich den Duft ihres Haares und die Wärme ihres Körpers.
Dann schlug ich das unterste Buch meines Stapels auf und las ein Gedicht vor. Als ich fertig war, sah ich Johanna an. Sie war nicht ganz so beeindruckt, wie ich gehofft hatte.
»Ich weiß nicht recht«, sagte sie.
»Soll ich noch eines lesen?«
»Ja, okay.«
Ich trug ein weiteres Gedicht vor.
»Du kannst es auswendig«, sagte sie. »Du hast gar nicht ins Buch geschaut.«
Sie nahm mir das Buch aus der Hand, schlug es auf, sah auf dem Umschlag mein Foto und blickte auf. »Raffiniert«, sagte sie und lächelte.
13 Ich stand eine Weile auf dem Bürgersteig der Lutherinkatu und sah zu, wie die Rücklichter von Hamids Taxi im Nebel verschwanden.
Auf der kurzen Fahrt vom Bahnhof zum Temppeliaukio war mir klargeworden, dass wir letztlich alle miteinander verbunden waren. Johanna, Pasi Tarkiainen, Lassi Uutela, Laura Vuola, Harri Jaatinen und ich. Sogar Frau Bonsdorff und Hamid. Ganz zu schweigen von Ahti und Elina Kallio. Wir liefen, zerrten und keuchten jeder in seine Richtung, und je mehr wir uns abstrampelten, desto näher kamen wir den anderen.
Elina öffnete die Tür. Sie begrüßte mich, lächelte freundlich und sah mich dann aber sofort fragend an. Ich musterte mich kurz im Flurspiegel und verstand den Grund. Meine Augen funkelten zornig, wenn nicht sogar wütend. Ich wollte mich nicht erklären, hätte es vermutlich auch gar nicht gekonnt. Jedenfalls noch nicht. Ich sagte ihr, dass ich mit Ahti sprechen wollte.
»Ahti schläft.«
»Weck ihn.«
»Wie bitte?«
»Weck ihn.«
Elina sah mich zunächst