Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,41

worden war, gehorchte ich.

Die Wohnung war groß, fünf Zimmer und eine Küche. Frau Bonsdorff wohnte hier allem Anschein nach allein. Ein Blick in zwei der Zimmer bestätigte den Eindruck: Sie wirkten unbenutzt, die obligatorischen Decken am Fußende des Bettes und die Zierkissen auf den Sesseln verharrten schon lange in dieser Stellung. Ich folgte Frau Bonsdorff ins Wohnzimmer und wartete, dass sie stehen blieb und mir sagte, wen sie erwartet hatte. Und sich dann anhörte, welches Anliegen ich hatte.

Sie ging über einen rot-schwarzen Orientteppich von der Größe eines Squashfeldes, trat an ihren Fernseher und schlug mehrmals mit ihrer kleinen Faust dagegen.

»Da«, sagte sie. »Kein Bild.«

Ich sah den Fernseher und dann Frau Bonsdorff an. Sie war eine kleine Frau mit lockigem Haar, trug sogar zu Hause einen eleganten grauen Blazer und strahlte, trotz ihres Alters und ihrer ganz leicht gebeugten Haltung, Entschlossenheit und Lebenskraft aus.

Ich überlegte kurz.

Welchen Defekt könnte das Ding haben?

Ich überquerte das Squashfeld, überzeugte mich, dass alle Kabel angeschlossen waren, und versuchte, das Gerät einzuschalten.

»Er funktioniert nicht«, belehrte mich Frau Bonsdorff.

Ich sah mir die Kabel erneut an und folgte einem unter eine antike Kommode und dann hinter ein Rokokosofa, wo ich den Stecker fand, der sich aus der Verlängerungsdose gelöst hatte. Ich verband beide und ging wieder zum Gerät zurück. Das Bild kam sofort.

»Das hätte ich ja auch selbst hingekriegt«, sagte Frau Bonsdorff.

Ich schaltete den Fernseher aus und wandte mich ihr zu. »Wollen wir so verbleiben, dass ich kein Geld nehme, wenn Sie mir ein paar Fragen beantworten?«

In ihren Augen blitzte es auf. »Ich hätte es ahnen müssen«, sagte sie. »Welcher Mechaniker kommt in den heutigen Zeiten am selben Tag? Wie wäre es mit Kaffee?«

Wir tranken am Tisch des Wohnzimmers Kaffee aus Porzellantassen. Frau Bonsdorff trug an der linken Hand einen stattlichen goldenen Diamantring, den sie, während sie sprach, berührte und jeweils halb drehte, regelmäßig und routiniert. Erst ein wenig zur Seite, so dass der Diamant an den kleinen Finger stieß, und dann wieder zurück. Das lenkte meine Aufmerksamkeit auf meinen eigenen Ehering, dick und aus Weißgold, oben rund und an den Rändern flach. Ich trug ihn seit zehn Jahren, und angesteckt hatte ihn mir die Frau, nach der ich suchte. Diese Suche hatte mich hergeführt.

Der Kaffee war dunkel und hatte einen starken, schoko­ladigen Geschmack. Ich merkte, wie sehr ich mich nach einem Kaffee gesehnt hatte. Und ich merkte auch, dass ich ihn keine Sekunde früher runterbekommen hätte. Erneut verbannte ich den Anblick der Wohnung voller Blut in Jätkäsaari aus meinem Gedächtnis.

Ich erzählte Frau Bonsdorff von dem Mann, der seinerzeit im selben Haus gewohnt hatte, beschrieb Tarkiainen, nannte seinen Namen und seinen Beruf und fügte hinzu, dass ich möglicherweise im ganz falschen Haus war. Schließlich zeigte ich ihr Tarkiainens Foto auf meinem Handy.

Sie erstarrte und versicherte mir, dass ich absolut am richtigen Ort war. »Ich erinnere mich sehr gut an den Mann«, erklärte sie.

»Er starb vor fünf Jahren«, sagte ich.

Sie schien verwirrt. »Vor fünf Jahren?«, fragte sie.

Ich nickte.

Sie hielt den Henkel, als wollte sie die Porzellantasse kneifen. »In diesem Alter vergeht natürlich jedes Jahr schneller als das vorige, aber fünf Jahre kann es auf keinen Fall her sein.«

»Was denn?«, fragte ich.

»Erik hatte seine letzten Tage erlebt«, sagte Frau Bonsdorff. »Mein Mann. Er ist an Leberkrebs gestorben. Vorher hatte er schon andere Krebsarten, Kehlkopf- und ­Magenkrebs. Die Schmerzen waren schrecklich, unbeschreiblich.« Ihre Blicke verirrten sich in die Ferne, nach draußen in den Nebel. »Ich habe Erik geliebt, und wir hatten nur noch uns«, sagte sie leise und trank von ihrem Kaffee.

Ich nahm mir ein Gebäckstück vom Teller, biss eine Ecke ab und ließ die Toffee-Essenz im Munde zergehen.

Frau Bonsdorff stellte ihre Tasse mit leisem Klirren ab. »Erik war ein tapferer Mann, ein guter Mann, ein starker Mann. Oder vielmehr, solange er das noch war. Niemand hält dem stand, wenn das Alter und Krankheiten kommen und die Zeit knapp wird. Unsere Kinder und Enkelkinder sind weit weg in Amerika, und wir haben den Kontakt mit ihnen über Skype gehalten. Das hat die Sehnsucht nur noch schlimmer gemacht. Ich bin so alt, ich muss die anderen berühren, ihnen nahe sein, sie fühlen, streicheln und umarmen dürfen. Und ich möchte auch selbst im Arm gehalten werden. Erik war genauso. Wir waren füreinander da, einer die Stütze für den anderen.«

Sie machte eine kleine Pause, versank immer tiefer im Nebel, bemerkte es selbst und richtete ihren Blick wieder auf mich. »Bist du verheiratet?«, fragte sie.

»Ja, bin ich«, sagte ich und ergänzte rasch: »Eigentlich bin ich deswegen hier.«

Sie sah mich fragend an.

»Meine Frau ist verschwunden«, sagte ich.

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