Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,42
»Der Mann, nach dem ich Sie gefragt habe, weiß eventuell etwas darüber. Ich suche also eigentlich nicht ihn, sondern meine Frau.«
»Habt ihr Kinder?«
»Nein.«
»Darf man fragen, warum nicht?«
»Sicher. Wir haben keine bekommen.«
Sie schien die Antwort abzuwägen. »Ihr seid zu zweit.«
»Stimmt.«
»Das ist auch gut.«
Ich spürte den Kloß in meiner Kehle und wischte mir sicherheitshalber die Augen. »Ja, das ist auch gut«, bestätigte ich.
Wir saßen uns am Tisch gegenüber, zwei Menschen, die sich zufällig begegnet waren. Mir wurde plötzlich deutlich bewusst, wie viel wir beide gemein hatten. Wie viel alle Menschen gemein haben. Ich wollte die Stille nicht unterbrechen, denn auch sie verband uns, wirkte seltsam beruhigend, fast endgültig. Ich wollte Frau Bonsdorff nicht ausfragen, nicht verhören. Vielleicht würde sie früher oder später auf den Ausgangspunkt unseres Gesprächs zurückkommen.
Ich trank den starken Kaffee, ließ ihn kurz auf meiner Zunge brennen, ehe ich ihn hinunterschluckte. Dabei betrachtete ich die Gemälde an den Wänden. Sie zeigten im Sonnenlicht badende Küstenmotive, rot und gelb gestrichene Bauernhäuser, goldgelb schimmernde Felder und dunkelgrüne Wälder, die wie erfunden wirkten.
»Eriks Schmerzen schienen zu wachsen, je mehr Medikamente er bekam«, sagte Frau Bonsdorff, als ich gerade über Wiesen mit kniehohen, wehenden Grashalmen gegangen war und die Tür einer Blockhütte öffnen wollte.
»Der Krebs ist natürlich fortgeschritten. Und gerade da hat jener junge Mann seine Hilfe angeboten.«
»Wie das?«
Frau Bonsdorff wirkte nachdenklich. »Jetzt, wo du fragst. Überraschend war es schon, dass er ausgerechnet dann kam, als es am schlimmsten war. Eines Tages stand er einfach vor der Tür.«
»Wann war das?«, fragte ich und stellte die leere Tasse auf den Tisch.
»Erik starb vor einem Jahr«, sagte Frau Bonsdorff. »Der junge Mann kam etwa ein halbes Jahr vor Eriks Tod zum ersten Mal. Deshalb habe ich ja gesagt, dass ich es nicht verstehe. Du hast gemeint, dass er vor fünf Jahren gestorben ist, aber ein Arzt mit diesem Gesicht und Namen kam vor anderthalb Jahren zu uns und sagte, dass er helfen wolle.«
Sie war deutlich verunsichert, und ich begriff, warum. »Es liegt nicht an Ihrem Gedächtnis«, sagte ich. »Der Irrtum liegt bei mir. Ich habe eine falsche Information bekommen, das ist alles.«
»Ja, so muss es sein«, sagte sie und wirkte für einen Moment noch älter, als sie war. »Ich habe Angst. Falls ich mein Gedächtnis, meinen Verstand verliere, was wird dann aus mir?«
»Da brauchen Sie sich nicht die geringste Sorge zu machen«, versicherte ich. »Ihr Gedächtnis funktioniert ausgezeichnet. Erzählen Sie mir mehr von diesem Mann. Hat er gesagt, warum er gekommen war?«
»Ja, das ist auch so eine Sache«, erwiderte sie, »wegen des Geldes kam er jedenfalls nicht, er nahm kein Honorar und nur eine geringe Gebühr für die Medikamente. Erik war zu dem Zeitpunkt schon so krank, dass wir alle möglichen Medikamente gebraucht haben, auch solche, die wir woanders nicht bekommen konnten.«
»Und der junge Mann hatte sie?«
»Ja. Ich bin dankbar dafür. Er war auch bei Erik, als der seine letzte Reise angetreten ist.«
»Hier, bei Ihnen zu Hause?«
»Welcher Ort ist besser zum Sterben geeignet als das eigene Zuhause?«
Ich sah wieder die Wohnung in Jätkäsaari vor mir, die menschlichen Körper unter der Decke, die Blutspritzer an der Wand über dem Bett. »Keiner«, sagte ich. »Und dann?«
Frau Bonsdorff sah mich an. »Erik wurde eingeäschert, und ich blieb nach sechsundvierzig gemeinsamen Jahren allein zurück«, sagte sie.
»Tut mir leid. Und danach?«
Jetzt wirkte sie ungeduldig. »Ich wollte sterben, aber es ging nicht«, sagte sie. »So einfach ist es manchmal.«
»Entschuldigen Sie, Frau Bonsdorff«, sagte ich leise. »Das meinte ich gar nicht, ich habe mich nicht richtig ausgedrückt. Ich wollte wissen, was aus diesem Arzt geworden ist, haben Sie noch mal von ihm gehört?«
»Er ist verschwunden, genau so wie er aufgetaucht war. Er kam ungerufen und ist ohne Abschied gegangen. Ich habe danach nichts mehr von ihm gehört.«
»Erinnern Sie sich, ob er, während er Erik half, in diesem Haus gewohnt hat?«
Sie überlegte. »Darüber habe ich nie nachgedacht. Möglich ist es schon. Es ist jedenfalls nicht unmöglich.«
»Sind Sie ihm mal im Treppenhaus oder draußen vor der Tür begegnet?«
Sie schüttelte den Kopf, langsam, aber nachdrücklich. »Meines Wissens nicht. Allerdings …«
»Ja?«
»Wenn ich jetzt darüber nachdenke, habe ich mich manchmal gewundert, wie schnell er nach den Anrufen da war, und einfach im Oberhemd, mit der Tasche in der Hand. Damals habe ich es nicht weiter beachtet.«
Ich wusste nicht, was ich noch fragen sollte, und wischte mir mit einer Serviette die Mundwinkel, obwohl sie fast schmerzhaft trocken waren.
»Seid ihr glücklich?«, fragte Frau Bonsdorff unvermittelt.
Ich sah ihr tief in die blaugrünen Augen, die denen von Johanna so sehr glichen, dass ich für den Bruchteil einer Sekunde ihrem Sog folgte.
»Ich habe