Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,40

eben auch bedenken: Wir jagen hier einen Irren, der sich in den Kopf gesetzt hat, dass ein paar einzelne Menschen für den Untergang der Welt verantwortlich sind. Und was passiert, wenn wir ihn fassen? Dann kommt ein anderer Irrer, und die Welt geht weiter unter. Das ist natürlich nicht neu. Aus der Geschichte wissen wir, dass dergleichen schon häufig passiert ist. Zivilisationen erblühen und gehen unter. Das ist bereits Millionen und Abermillionen Menschen auf der Erde widerfahren. Und jetzt geschieht es wieder. Aber irgendwie ist es hart, wenn es die eigene kleine Welt ist, die untergeht. Nicht wahr, Tapani?«

»Stimmt wohl.«

Draußen auf dem Meer war ein dunkles Schiff zu sehen. Ich beobachtete es eine Weile, bis ich wieder die blutige Bettdecke und den kleinen brünetten Kopf sah, der in zwei Teile gespalten war. Bösartigkeit und Sinn­losigkeit, das war es, was ich sah. Ich musste weg von hier.

10 Auf der Rückbank des Taxis schlief ich trotz meines Schocks und der Übelkeit ein. Der Schlaf kam schlagartig, wie ein Anfall. In einem Traum flüsterte Johanna etwas in Laura Vuolas Ohr, während mich beide ansahen, entweder ängstlich oder böse. Johanna hielt sich die Hand vors Gesicht, so dass ich ihre Lippenbewegungen nicht sehen konnte, aber aus Lauras Miene und Blick schloss ich, dass sie von mir sprachen. Ehe ich aufwachte, spürte ich wieder einen raschen und vollkommen sinnlosen Stich der Eifersucht. Und ich konnte den Traum auch nicht gleich vergessen, sondern grübelte, als ich bereits wach war, noch eine ganze Weile darüber, was Johanna Laura erzählt hatte.

Endgültig wach wurde ich, als Hamid heftig auf die Bremse trat und ich in den Sicherheitsgurt geschleudert wurde. Der Gurt rastete ein. Ich spürte den Schmerz in der Seite. Als der Wagen endgültig zum Stehen gekommen war, konnte ich wieder durchatmen und lockerte den Gurt. Wir standen hinter einem Bus, zwischen den Stoßstangen waren nur Millimeter.

»Entschuldigung«, sagte Hamid. »Der hat ganz plötzlich gebremst.«

»Ist schon okay«, sagte ich und sah mich um. Wir befanden uns auf der verstopften Kreuzung kurz vor Munkkiniemi und warteten, dass die einzige Spur zur Weiterfahrt frei wurde.

Der Regen machte eine Pause, seinen Platz zwischen Himmel und Erde nahm jetzt Nebel ein, der so dick war, dass die Konturen der Autos ringsum verschwanden und von ihrer Existenz nur der rote, gelbe und durchsichtige Schein der Scheinwerfer und Rücklichter kündete. Die ganze Umgebung zerfiel in Stücke und undeutliche Streifen wie in einer Fernsehübertragung mit schlechter Bildqualität: Ein Auto war dort, jetzt hier, dort stand ein Haus, jetzt nicht mehr, und dann blinkte drüben ein Licht auf, gleich darauf bewegte es sich bereits vor uns.

Ich nahm mal wieder mein Handy und blätterte die gesammelten Informationen über Tarkiainen durch. Bisher war ich zu ungenau gewesen und hatte nicht bemerkt, dass er nicht nur vier, sondern fünf frühere Adressen hatte. Mir war das entgangen, weil es sich in zwei Fällen um dieselbe Adresse handelte: Tarkiainen hatte im Stadtteil Munkkiniemi in ein und derselben Wohnung zwei Mal gewohnt. Zunächst vor langer Zeit für zwei Jahre und dann noch mal für etwa ein Jahr, bis zu seinem vermeintlichen Tod.

Hamid fand rasch das Haus, hielt am Straßenrand und hörte sich freundlich und geduldig an, wie ich ihm wieder mal erklärte, dass ich ihn jetzt und hier brauchte und er keine anderen Touren übernehmen sollte.

»Verstehe, verstehe«, seufzte er, und ich hörte mit meinen Erklärungen auf.

Darüber musste er lächeln.

Ich ließ Hamids Lächeln im Rückspiegel zurück, stieg aus und ging auf dem schmalen Gehweg zum Hauseingang. Ein weicher, kaum spürbarer Wind bewegte den Nebel, so als wollte er im Zeitraffer Wolken bauen.

Das Haus war in den 30ern gebaut worden und auch aus der Nähe betrachtet in einem guten Zustand. Die Tür mit der Holzmaserung war frisch lackiert. Links daneben hing eine beleuchtete Namenstafel mit Klingelknöpfen. Keiner der Namen sagte mir etwas. Ich drückte aufs Geratewohl mehrere Klingeln: Saarinen, Bonsdorff, Niemelä, Kataja.

Bonsdorff reagierte.

Ich zog die Tür auf und blickte zurück zur Straße. Der Nebel war so dick, dass ich Hamids Taxi nicht sehen konnte. Laut der Namensliste wohnte Bonsdorff in der vierten Etage. Ich rief den Fahrstuhl, fuhr nach oben und klopfte an der Wohnungstür.

Der Lichtpunkt des Spions verdunkelte sich kurz, dann wurde die Tür geöffnet. Frau Bonsdorff offensichtlich, Alter mindestens achtzig.

»Ich habe Sie schon erwartet«, sagte sie.

Mir fiel keine andere Erwiderung ein als: »Entschuldigen Sie, dass es so lange gedauert hat.«

»Heutige Zeiten«, schnaubte Frau Bonsdorff. »Treten Sie ein.«

Frau Bonsdorff drehte sich um und ging in die Wohnung. Ich wusste nicht, wen sie erwartet hatte, aber da die Tür offen stand und ich zum Eintreten aufgefordert

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