Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,29

ergänzte sofort: »von allem.«

»Das macht nichts«, sagte ich. »Es ist ein bloßer Aufschub. Uns wird bestimmt etwas einfallen.«

Sie sagte nichts, sondern blickte in Richtung Schlafzimmer, und es schien, als horchte sie sehr aufmerksam auf etwas, das meine Ohren nicht wahrnahmen.

»Elina, wir müssen reden«, sagte ich.

Sie wandte sich mir zu, und ihr Blick wurde schärfer und kühler. »Über Pasi Tarkiainen?«

Ich nickte. Über Pasi Tarkiainen.

»Was hat er damit zu tun?«, fragte sie. »Mit der Suche nach Johanna oder mit irgendetwas anderem? Außerdem ist es ewig her, ungefähr fünfzehn Jahre. Was spielt es für eine Rolle?«

»Ich habe eine Theorie, und Tarkiainen hat damit zu tun.«

Sie sah mich immer noch an, strich sich mit einer Hand durchs Haar und zupfte dann am Ärmel ihres Pullovers, wie um ihn länger zu machen, als er war.

»Johanna und Pasi haben zusammen in Kivinokka gewohnt, stimmt’s?«

Elina nickte, nicht sofort, aber immerhin. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass es bei der Suche nach Johanna hilft, in der Vergangenheit zu wühlen«, sagte sie. »Aber egal. Wie du willst.« Sie seufzte und zog ihre Beine enger an sich.

»Wir lebten damals ein etwas anderes Leben«, sagte sie. »Wir waren junge und naive Studenten und machten Sachen mit, die wir lieber hätten lassen sollen.«

»Zum Beispiel?«

»Pasi Tarkiainens Sachen«, sagte sie, streifte mich mit einem Blick, bemerkte meine Miene und lachte. Dieses Lachen war bedeutend echter als jenes vorhin. »Es ist nicht das, was du anscheinend denkst. Pasi Tarkiainen war damals ziemlich radikal in Umweltfragen, das führte dann zu entsprechenden Aktivitäten.«

»Okay«, sagte ich und merkte, wie ich rot wurde.

»Du bist eifersüchtig«, sagte Elina.

Ich nickte widerwillig, spürte, wie meine Wangen glühten.

»Das war vor langer Zeit. Du hast doch selbst auch eine Vergangenheit.«

»Natürlich«, sagte ich, spürte das Glühen sogar schon im Nacken und wollte diesen Teil des Gesprächs möglichst schnell abhaken. »Was war dann? Wie ging es weiter mit Tarkiainens Aktivitäten?«

»Er war ein radikaler Klimaschützer und hatte Kontakte zu einer Truppe, die systematisch Attentate auf Manager, Politiker und andere verübte, die als Klimavernichter eingestuft worden waren oder die nicht genug gegen die Klimaveränderung taten. Es war das übliche Schwarzweißdenken der Jugend: Wenn du nicht für uns bist, dann bist du gegen uns und verdienst, getötet zu werden. Auch Johanna und ich haben so gedacht, zwar nicht offiziell, aber immerhin.«

»Ich wusste nicht, dass ihr so radikal wart«, sagte ich. »Mir ist zwar bekannt, dass Johanna einst eine Aktivistin war, aber ich hatte keine Ahnung, dass sie mit einem Terroristen zusammengelebt hat.«

Elina sah aus, als versuchte sie sich zu erinnern, wie alles wirklich gewesen war. Dabei verschwand die Kühle nach und nach aus ihrem Blick. »Pasi war kein Terrorist. Vielleicht war er leidenschaftlich und sogar zwanghaft, aber nicht böse. Und er hat sicher auch jetzt nichts Böses getan?«

Ich dachte an die getöteten Familien und Tarkiainens erwiesene Anwesenheit an den Tatorten. Doch ich zuckte mit den Schultern und überging die Frage. »Warum fällt es dir so schwer, darüber zu sprechen?«

Elina nickte in Richtung des Schlafzimmers. »Ahti würde es vielleicht nicht verstehen«, sagte sie, und dann, leiser und fast beiläufig: »aus verschiedensten Gründen.«

Ich sah sie eine Weile an. »Habt ihr nie darüber geredet?«, fragte ich.

Sie wirkte zunächst verwundert und auch beleidigt, schließlich nur verwundert. »Warum hätten wir sollen? Ihr habt es ja auch nicht getan.«

Die Wahrheit schmerzte, sofort. »Nein, wir auch nicht«, gab ich zu und ergänzte leise: »Irgendwie schien es keinen Grund zu geben.«

»Solange du geglaubt hast, alles zu wissen, was du wissen musstest, warst du zufrieden«, sagte Elina. »Jetzt weißt du, dass du nicht alles weißt, und es macht dir zu schaffen. Man sollte sich fragen, wie viel man letzten Endes wissen will, auch von seiner eigenen Frau.«

Ich musterte sie und entdeckte etwas an ihr, das ich früher nicht bemerkt hatte. Zu der Kühle in ihrem Gesicht hatte sich eine Spur von Härte, sogar Bitterkeit gesellt.

»Erzähl mehr von Pasi Tarkiainen«, bat ich.

»Warum?«

Ich sah sie ernst an. »Du hast noch nicht alles erzählt.«

Sie schnaubte genervt und verdrehte die Augen. Aber sie war eine schlechte Schauspielerin und wusste es auch. »Du findest Johanna nicht dadurch, dass du in Geschichten herumwühlst, die hundert Jahre alt sind.«

»Du hast nicht alles erzählt«, wiederholte ich. »Ahti schläft, du kannst reden.«

Sie blickte wieder in Richtung Schlafzimmer. Eine Weile lauschten wir still, ich hörte deutlich Ahtis Schnarchen.

»Es ist wichtig, Elina«, sagte ich. »Johanna ist seit anderthalb Tagen verschwunden. Eine andere Möglichkeit, als dass ich sie gesund und lebendig wiederfinde, will ich mir gar nicht ausmalen. Ich brauche alle erdenkliche Hilfe. Es fällt mir wirklich nicht leicht, darum zu bitten, aber ich bin dazu gezwungen. Ich muss Johanna

readonlinefreenovel.com Copyright 2016 - 2024