Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,51

und beschwere mich darüber.«

»Ich habe geahnt, dass das Ganze einen Haken hat.«

»Natürlich hat es einen«, sagt Johanna.

Ich massiere ihre Füße und sehe, dass sie die Augen schließt. Weiche und schützende Dunkelheit umgibt uns, und in Johannas Mundwinkel zuckt ein kleines Lächeln. Bald wird sie entweder einschlafen oder anfangen zu lachen.

15 »Du musst das verstehen«, sagte Elina. Aber es klang lasch, und sie schien selbst nicht an ihre Worte zu glauben.

Das Ende unserer Freundschaft war kein Knall, es war Enttäuschung und Niederlage. Ahti schwieg. Ich ging in den Flur, zog mir die Jacke und die Schuhe an. In der Tür drehte ich mich aus irgendeinem Grund noch einmal um. Ahti und Elina standen am anderen Ende des Flurs. Ebenso gut hätten sie auf dem Mond stehen können.

Was sollte ich sagen? Dass wir die schönen Erinnerungen zurückbehalten und nur an die guten Zeiten denken sollten, an all das Angenehme, das wir zusammen erlebt hatten? Dass wir uns nicht von Kleinigkeiten das große und vielleicht irgendwo noch heile Ganze vermiesen lassen sollten? Ich ging die Alternativen durch, und mir fiel nichts Besseres ein, als: »Tschüs.«

Wie heißt es doch so schön? Wenn man im Leben sonst nichts lernt, dann zumindest, leise zu gehen.

Ich verließ das Haus und trat auf die Straße. Ganz in Gedanken versunken steuerte ich die Kreuzung an, die ich mir erfolglos auf dem Video der Überwachungskamera angesehen hatte.

Die Sonne war längst untergegangen, der Himmel hatte sich endgültig verdunkelt. Der Regen, der weder Anfang noch Ende kannte, hatte für einen Moment seinen Eifer verloren. Es fielen vereinzelte Tropfen. Die hupenden Autos und drängelnden Fußgänger waren mir allesamt scheißegal. Ich hatte keine Kraft mehr, mich aufzuregen.

Von irgendwoher stank es penetrant nach brennendem Plastik, aber auch das ließ mich kalt. Der Geruch verfolgte mich mehrere Minuten lang. Ich wischte mir die Regentropfen aus dem Gesicht und merkte, dass meine Handschuhe weg waren. Auf der anderen Straßenseite hatte eine Disco ihre Türen geöffnet und warb mit gleichmäßigem, betäubendem Dröhnen um Gäste. Ich sah auf mein Handy. Die Zeit verging, und Johanna rief nicht an.

Die letzten zwei Tage waren wie ein ganzes Leben gewesen: gierig, hastig, verzweifelt. Busse und Autos schossen an mir vorbei, ihre Motoren brüllten, die Abgase reizten meine Schleimhäute, der Benzingeruch würgte mich in der Kehle. Eine Gruppe Jugendlicher kam mir entgegengerannt und zwang mich zu einem Ausweichmanöver. Sie schrien sich in einer fremden Sprache an, während sie vor etwas flüchteten. Zwei Wachmänner folgten ihnen und forderten sie auf Finnisch auf, stehen zu bleiben. Die Jugendlichen liefen weiter.

Ich erreichte die Kreuzung und sah nach oben zur Kamera an der Hauswand in etwa zehn Metern Höhe. Ich bekam Tropfen ins Auge, so als wollten sie mich wecken. Dann blickte ich in dieselbe Richtung wie die Kamera. Hunderte Menschen, Autos, Lichter, das ganze Gewimmel, in dem ich Johanna hatte finden wollen.

Manchmal sieht man es erst, wenn man aufhört hinzuschauen, hatte Jaatinen gesagt.

Ich rief ihn an.

Ich war mir nicht ganz sicher, aber scheinbar saßen auch diesmal dieselben sieben Leute vor den Monitoren wie bei meinem letzten Besuch. Konzentrierte Besorgnis hatte sich auf ihre Gesichter gelegt.

Jaatinen führte mich wieder zu dem Computer im ­vorderen Teil des Raumes und öffnete mir mit seinem Passwort den Zugang zu den Datenbanken. Auf dem Weg von der Eingangshalle in die zweite Etage hatten wir nur wenige Worte gewechselt. Jaatinen war nicht nur wie sonst immer müde, sondern gereizt und abwesend, so als wäre er in Gedanken woanders und würde dort ebenso üble Laune verbreiten wie hier. Das war ein neuer Zug an ihm.

Ich hörte die Tastatur unter seinen starken Fingern klappern und spürte förmlich die fragenden Blicke der anderen. Doch als ich kurz aufblickte, schenkte uns niemand auch nur die geringste Beachtung. Jaatinen erhob sich, sah mich an und wollte etwas sagen. Sein Blick verriet, dass er tatsächlich woanders war. Was auch immer er mir mitteilen wollte, er dachte lange darüber nach. Dann zeigte er auf den Monitor und versprach, in einer halben Stunde wiederzukommen. Ich antwortete, dass ich vermutlich gar nicht so lange brauchen würde.

Jaatinen sah wieder durch mich hindurch. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging davon, seine Schritte waren schnell und zornig. Er verschwand im Treppenhaus und ließ eine aggressive Stimmung zurück, die auch mich ergreifen wollte. Ich machte mich an die Arbeit.

Die Anzahl der Überwachungskameras war verwirrend. Zwar gingen einige von ihnen gar nicht, aber das Material der funktionierenden Kameras vermittelte ein recht deutliches Bild vom gesamten Stadtzentrum. Manche Straßen und Kreuzungen konnte man sogar aus verschiedenen Blickwinkeln und unterschiedlicher Höhe betrachten.

Ich kehrte zu

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