Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,4

hohlen Geräusch. Lassis tippende Finger hielten inne, er verharrte mit den Händen in der Luft und drehte sich um. Die Gereiztheit in seinen Augen hatte nicht abgenommen.

Ich fragte ihn nach dem Namen des Fotografen, der Johanna begleitete, obwohl ich es eigentlich bereits ahnte.

»Gromow«, knurrte Lassi.

Ich wusste von dem Mann, war ihm auch schon begegnet. Groß, dunkelhaarig und gutaussehend. Laut Johanna ein Frauenheld und zwangsneurotisch, zumindest in seiner Arbeit, vermutlich auch in allem anderen. Johanna schätzte sein fachliches Können und arbeitete gern mit ihm zusammen. Die beiden hatten viel Zeit miteinander verbracht, sowohl auf Inlands- als auch auf Auslandseinsätzen. Wer, wenn nicht er, könnte etwas über Johanna wissen.

Ich fragte Lassi, ob der Mann irgendwann aufgetaucht war. Lassi verstand sofort, was ich meinte. Er griff nach seinem Handy, wählte eine Nummer, wartete kurz und warf das Telefon wieder auf den Tisch.

»Teilnehmer nicht erreichbar?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte.

Lassi nickte, schüttelte dann den Kopf, legte die Hände auf die Sessellehnen, drückte den Kopf an die Nackenstütze und richtete den Blick an die Zimmerdecke, die Belüftungsrohre oder den Himmel. »Diese gottverfluchte Scheißwelt«, sagte er leise.

4 Auf der Heimfahrt dachte ich an Lassis Fragen nach meiner Arbeit. Ich hatte ihm nicht gesagt, was ich dachte, hatte keine Lust dazu gehabt. Lassi war nicht der Mensch, dem ich mein Herz ausschütten oder mehr vertrauen würde als unbedingt notwendig. Und was hätte ich ihm denn gesagt, wie eine Tätigkeit begründet, die keinerlei Zukunft hatte? Ich hätte mich an die Wahrheit gehalten.

Weiter zu schreiben bedeutete weiter zu leben. Und ich tat es nicht, weil ich mir einbildete, neue Leser zu finden. Die Menschen versuchten sich von einem Tag zum anderen zu hangeln, und Lyrik spielte dabei kaum eine Rolle. Der Grund dafür, dass ich weiter schrieb, war vollkommen egoistisch.

Das Schreiben bedeutete Routine und strukturierte den Tag. Die Worte, Sätze und kurzen Zeilen brachten eine Ordnung ins Leben, die ringsum verlorengegangen war. Schreiben bedeutete, dass der dünne Faden zwischen gestern, heute und morgen nicht riss.

Ich wollte schon auf der Heimfahrt Johannas Notizen zu lesen beginnen, konnte mich aber nicht konzentrieren, weil Bierdosen und andere Abfälle durch den Bus flogen. ­Betrunkene Teenager warfen damit und störten die Fahrgäste, auch wenn sie nicht gefährlich waren. Die Nacht­linien waren eine Sache für sich, besonders die unbewachten.

An der Metrostation Herttoniemi stieg ich aus. Ich machte einen weiten Bogen um eine Horde betrunkener Skinheads, auf deren kahlen Köpfen Tätowierungen glänzten, wich aufdringlichen Bettlern aus und ging durch den dunklen Abend nach Hause. Es regnete ausnahmsweise mal nicht, stattdessen konnte sich der starke, böige Wind nicht entscheiden, in welche ­Richtung er wehen sollte. Er blies hierhin und dorthin, griff vehement nach allem, auch nach den hellen Lampen, die an den Häuserwänden befestigt waren. In der abendlichen Dunkelheit schien es, als würden selbst die Gebäude schwanken. Ich lief in großen Schritten und passierte eine Kindertagesstätte, die zuerst von den Kindern verlassen, dann von irgendwelchen Streunern beschmiert und schließlich angezündet worden war. Die Kirche auf der anderen Seite der Kreuzung diente Obdachlosen als Notunterkunft und schien bis an den Rand voll zu sein: Die früher leuchtende Eingangshalle war von den Menschenmassen halbdunkel. Einige Minuten später bog ich auf den Weg ein, der zu unserem Wohnblock führte.

Das vom Herbststurm abgerissene Dach des Hauses gegenüber war immer noch nicht repariert, und die Wohnungen in der obersten Etage waren dunkel. Dasselbe stand auch unserem Haus und Tausenden anderen Häusern bald bevor. Sie waren ursprünglich nicht für ständige Herbststürme und halbjährige Regenperioden ausgelegt. Und als klarwurde, dass Wind und Regen eine Dauererscheinung bleiben würden, war es zu spät. ­Niemand hatte die Mittel oder das Interesse, Häuser zu reparieren, in denen das Wohnen wegen Strom- und Wasserabschaltungen unbequem und vermutlich bald unmöglich sein würde.

Das elektronische Schloss erkannte meine Karte, und die Haustür öffnete sich. Während der Stromsperren ­benutzte ich einen alten Sicherheitsschlüssel. Diese Dinger sollten natürlich längst Geschichte und nutzlos sein, aber wie so viele als überflüssig bezeichnete Gegenstände leisteten sie das, was neue nicht konnten: Sie funktionierten.

Ich wollte im Treppenhaus Licht machen, aber der Schalter war wieder kaputt. Also ging ich im Dunkeln nach oben in die zweite Etage, wobei ich mich am Ge­länder orientierte, kam zu unserer Tür, öffnete beide ­Sicherheitsschlösser und das normale Schloss, schaltete die Alarmanlage aus und holte instinktiv Luft.

Den Geruch des eigenen Heims prägt so vieles: der morgendliche Kaffee, das flüchtig aufgesprühte Parfüm, die Kernseife in den Teppichen als Überbleibsel von der Waschprozedur im Frühjahr, lange Weihnachtstage, der gemeinsam gekaufte Sessel und jede Nacht mit einem geliebten Menschen. All das bestimmt den Geruch

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