Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,31
ich dieser Gruppe von Aktivisten einst gewesen, und wie glückselig ahnungslos? Das sagte ich Elina natürlich nicht.
Ich bedankte mich, umarmte sie bedeutend länger, als ich beabsichtigt hatte, und ließ sie erst los, als ich begriff, was ich tat.
5 Das klare Wetter vom Morgen war während meines Besuchs umgeschlagen. Jetzt wehte ein böiger Wind aus wechselnden Richtungen, der wolkenverhangene Himmel verdunkelte die Welt und kündigte Regen an.
Ich wusste, warum ich Elina so lange umarmt hatte. Ich sehnte mich auch physisch sehr nach Johanna, nach ihrer intensiven Wärme, ihrem zarten Eigengeruch von Honig und Wolle, danach, wie sich ihre kleine Gestalt neben mir und in meinem Arm anfühlte, und nach ihrer Hand, die sich in meine legte. Wir waren zärtlich zueinander, und das ständig. Deshalb überwältigte mich die Sehnsucht so plötzlich, kam von ganz tief drinnen und schmerzte. Ich blickte in die Wolken, seufzte und drückte alle Gedanken an Johanna auf den Grund meiner Seele, an die Oberfläche ließ ich nur einen einzigen: Ich finde dich.
Ich ging in Richtung Museokatu, um die Kneipe mit dem aggressiven Barmann erneut zu besuchen. Keine Ahnung, ob offen war. Früher jedenfalls hatte sie ihre Türen bereits morgens geöffnet, so dass die Künstler und die, die sich dafür hielten, ihre Defizite der vergangenen Nacht ausgleichen konnten.
Ich stieg die Steinstufen von der Temppelikatu in die Oksasenkatu hinunter. Wie oft war ich diesen Weg gegangen, ohne dass die Treppe je ein Anzeichen von Verschleiß gezeigt hätte. Von unten blickte ich zurück auf die klobigen Steine, die mittendrin mit Bolzen befestigte Tür zur Kraftsporthalle und die auf dem Geländer ruhenden moosbedeckten großen Steinkugeln.
Mein Weg führte mich tiefer in das Viertel. An der Ecke der Runeberginkatu befand sich ein Flohmarkt, manche der vielen verschiedenen Sachen wurden auf dem Bürgersteig angeboten. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass jemand den Markt besuchte. Was hätte man kaufen sollen? Kleidung, die jeder zu Hause im Überfluss hatte, Geschirr, für das es bald nicht mehr genug Essen gäbe, Elektronik, die sowieso höchstens eine Minute Freude bescherte, Bücher und Schallplatten, die zu lesen oder zu hören niemand mehr Zeit hatte?
Auf der anderen Seite der Kreuzung Museokatu und Oksasenkatu wachten zwei sich gegenüberstehende Bärenskulpturen. Eigentlich sahen sie eher aus wie Teddys, so klein hatte Bildhauer Talvia die beiden Figuren gemacht. Ihr graues Steinfell war inzwischen mit einer trüben, schimmelgrünen Schicht überzogen.
Die Tür zur Kneipe stand offen, von drinnen hörte ich Musik. Ich stieg die Stufen hoch, nahm wieder den Urin- und Schweißgeruch wahr, jetzt übertüncht mit Desinfektionsmittel. Am Tresen war niemand, im Raum auf der linken Seite saßen ein paar Gäste, jeder für sich allein, mit dem Handy beschäftigt oder ins Leere starrend.
Ich blieb stehen und überlegte, was ich tun sollte, falls der Barmann mit dem Pferdeschwanz wieder da war. Nach einigen Minuten öffnete sich die Tür zum Hinterzimmer, und ein muskulöser, offensichtlich sehr hart trainierender Mann schob sich herein. Er trug einen braunen Pappkarton unter dem Arm, aus dem es klirrte. Er stellte ihn auf der Arbeitsfläche ab und sah mich fragend an.
Ich bestellte einen Kaffee.
Ohne zu nicken oder ein Wort zu sagen, drehte er sich um, nahm einen Becher aus dem Regal und füllte ihn aus der Kaffeekanne, die vermutlich seit heute Morgen auf der Wärmeplatte stand. Oder seit der Schließung gestern. Er knallte den Becher vor mir auf den Tresen und wartete. Er war auffallend jung, vielleicht zwanzig, und sah aus, als wäre er aus großen einzelnen und nicht zueinander passenden Muskeln zusammengesetzt. Die blauen Augen waren zwischen wuchtigen Stirn- und Wangenknochen eingeklemmt, und der Druck machte sich in seinem Blick bemerkbar.
»Zahlst du?«, fragte er.
»Wie viel soll ich denn zahlen, falls ich es tue?«
Er drehte sich langsam um und zeigte auf die Tafel, so dass er gleichzeitig seinen wuchtigen Arm präsentieren konnte.
»Es ist das Wort dort, das mit K beginnt. Der nächste Buchstabe ist ein A, dann kommt ein F und noch eines und zum Schluss zwei E. K-A-F-F-E-E, spricht sich Kaffee. Und die Zahl dahinter bedeutet den Preis.«
Ich holte eine Münze aus der Tasche und warf sie auf den Tresen. Er legte sie nicht in die Kasse, sondern in ein Glas daneben. Dann machte er sich daran, die Flaschen aus dem braunen Karton auszupacken. Nach einiger Zeit merkte er, dass ich ihm zusah, er richtete sich auf und wandte sich mir zu.
»Sag nichts«, fing er an, »du hast vergessen, nach Milch zu fragen.«
Der Ventilator summte, ich sagte nichts.
»Zucker?«
Er seufzte, stemmte die Arme in die Hüften.
»Du bist bloß ein perverser Glotzer«, sagte er. »Okay, schluck deinen Kaffee und verpiss dich.«
»Ich bin kein perverser Glotzer.