Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,25

setzte mich wieder vor den Monitor. Jaatinen hatte mich in die zweite Etage mitgenommen, mir einen Computer zugewiesen und mir den Zugangscode fürs Abrufen von Informationen auf ein Blatt Papier geschrieben. Mit diesem Code kam ich an die Handydaten, Überwachungsvideos und in verschiedene Personendateien. Auf der Taskleiste sah ich, dass der PC mit Jaatinens Laptop verbunden war und dass er sehen konnte, was ich tat. Er hatte mir angekündigt, meine Verbindung zu kappen, sollte ich vom Kurs abweichen.

Ich saß in einem Großraumbüro inmitten von anderen Leuten, die auf ihren Tastaturen herumtippten. Keiner von ihnen hatte aufgeblickt, geschweige denn etwas gesagt während der Stunde, die ich mich dort bereits aufhielt. Vielleicht trieb uns alle dasselbe an: Wir suchten und hofften. Und wir fürchteten, dass jede klitzekleine Unaufmerksamkeit dazu führen könnte, dass der entscheidende Informationsschnipsel für immer verschwand.

Ich sah mir die Sequenz abermals an, verfolgte die Schritte eines jeden Passanten. Keiner von ihnen trippelte so wie Johanna. Sie hatte sich stets amüsiert, dass ich so langsam trottete. Obwohl ihre Beine kürzer waren als meine, erreichte sie das doppelte Tempo. Ich hätte sie auf dem Video entdeckt, wenn sie dort gewesen wäre. Ich spulte wieder zum Anfang, lehnte mich zurück und betrachtete das Bild.

Der Regen spielte seine Spielchen mit dem Bild, er benetzte die Straßen und Bürgersteige, ließ sie glänzen und beeinträchtigte die Sicht. 22.53 Uhr wurde die Kreuzung durch die vielen Autoscheinwerfer, die gelblichen Straßenlampen und die Werbetafeln an den Häuserfas­saden zu einem einzigen funkelnden Lichtbündel, das auch die Millionen vom Himmel fallenden Regentropfen färbte. Das Ergebnis war eine Landschaft, die als Gemälde schön gewesen wäre, als Beweismittel aber nichts taugte.

Ich seufzte und wollte schon aufgeben, als ich begriff, dass ich gar nicht unbedingt das falsche Bild betrachtete.

Johanna musste ja nicht zu Fuß am Kamppi gewesen sein.

Sie konnte ebenso gut in einem Auto gesessen haben.

3 Als Schriftsteller war ich an lange Phasen mit mageren Ergebnissen gewöhnt. Sie kamen immer unerwartet. Phasen, in denen ich Stunde um Stunde am Computer saß und nur wenige neue Zeilen auf den Bildschirm brachte. Und manchmal musste ich mich damit zufriedengeben, dass die Tagesleistung im Korrigieren des alten Textes bestand: ein Wort hier, ein anderes dort.

Eine Stunde lang vergrößerte ich die einzelnen Bildausschnitte, durchsuchte sie, notierte mir verschwommene Kennzeichen, Wagentypen und ihre Farben und verglich alles mit den Angaben im Fahrzeugregister – ohne Ergebnis.

Meine Augen schmerzten.

Seit Johannas letztem Anruf waren sechsunddreißig Stunden vergangen.

Ich schloss die Augen, die Lider fühlten sich an wie verschrumpelte Apfelsinenschalen. Ich massierte sie, vor dem dunklen Augapfel flogen Kometen, und Lichtstreifen flimmerten von einem Rand zum anderen.

Als ich die Augen wieder öffnete, stand Jaatinen neben mir. Er betrachtete eine Weile das extrem vergrößerte Bild der Überwachungskamera auf meinem Monitor und richtete den Blick dann auf mich. Ich sagte kein Wort.

»Manchmal sieht man es erst, wenn man aufhört hinzublicken«, sagte er. »Und man kapiert, was man längst weiß.«

»Das ist sicher richtig.«

»Ich fahre in die Stadt«, sagte er, und sein Blick streifte erneut das Bild auf dem Monitor. »Ich kann dich mitnehmen, wenn du willst.«

Ich sah das Bild und dann Jaatinen an und willigte ein.

Jaatinens Dienstwagen war so neutral und metallic­farben wie draußen der Tag. Die Sonne schien zwar nicht direkt, aber die Luft war fast klar, und die tiefen, weichen Wolken mit ihren runden Bäuchen erinnerten dar­an, dass es auf der Welt auch noch etwas anderes als Regen gab.

Jaatinen fuhr ohne Eile. Er setzte den Blinker auch dann, wenn es niemand sah. Das hatte etwas Rührendes, Würdevolles. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, dass er womöglich einer der letzten Menschen auf der Welt war, der sämtliche Gesetze und Regeln befolgte. Und vielleicht las er meine Gedanken, als er sagte: »Aus alter Gewohnheit.«

Er blinkte wieder, als wir wegen eines tiefen Loches, das im Asphalt der Mannerheimintie klaffte, die Spur wechselten. Wir kamen zu der Sporthalle und hielten an der Ampel davor. Die Schlange vor der Suppenküche war mehrere Hundert Meter lang. Ich betrachtete die Menschen, ihre ausdruckslosen, starren Mienen und ihr schicksalsergebenes Warten, dabei fiel mir die Security auf, die die Schlange bewachte.

Neue Wachdienste entstanden täglich, aber ich konnte mich nicht erinnern, jemals ähnliche schwarze Overalls oder das Symbol gesehen zu haben, das die Männer auf dem Rücken trugen. Es sah aus wie ein großes A, war aber keins. Kannte ich das von irgendwoher oder bildete ich mir das ein? Ich machte auf jeden Fall ein paar Fotos von den Männern und zoomte mir auch ihr Logo heran.

Jaatinen sah mich skeptisch an.

Ich nickte in Richtung der Security, er blickte kurz ­hinüber, und ich fragte

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