Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,18

in Arztpraxen in Töölö, Eira und unmittelbar im Zentrum, in der Kaivokatu.

Ich erinnerte mich an Jaatinens Worte, sah mir die Lis­ten ein zweites Mal an. Töölö tauchte in jeder auf.

Ich fand Tarkiainen auch per Bildsuche. Das Foto war zehn Jahre alt. Der junge Pasi Tarkiainen sah nicht aus wie ein Mörder, sondern wie ein fröhlicher, heiterer und optimistischer Medizinstudent. Sein Lachen war so ansteckend, dass ich es fast erwiderte. Betrachtete man das Foto genauer, sah man jedoch auch etwas anderes. Die Augen hinter den Brillengläsern wirkten eine Spur anders als die Grübchen in den vor Gesundheit strotzenden Wangen. Sie waren älter als das Gesicht, zu dem sie gehörten, blickten ernst, sogar besorgt. Tarkiainens blondes Haar war kurz, der mit Gel geformte Pony reichte bis zur halben Stirn. Trotz seines breiten Lächelns wirkte er wie ein Mann, der die Dinge ziemlich ernst nahm.

Ich ließ das Handy in den Schoß sinken, lehnte den Kopf an die Nackenstütze und war im Nu woanders. Das Schließen der Augen war wie eine Zeitmaschine, innerhalb einer Sekunde gelangte man, wohin man wollte, vorwärts und rückwärts.

Johanna.

Immer und überall.

Ich öffnete die Augen und befand mich wieder in dem von Regen umgebenen Taxi zusammen mit einem nord­afrikanischen Fahrer.

Ich gab Hamid eine Adresse, und er fuhr erleichtert los. Wir kamen auf die Straße am Tierpark. Die Fenster des von Soldaten bewachten Aurora-Krankenhauses reflektierten das Scheinwerferlicht und sahen aus wie lange Reihen von Spiegeln. Soldaten waren vor allem um die Klinik für Infektionskrankheiten postiert. Gerüchte besagten, dass die Soldaten hauptsächlich eine Aufgabe hatten: aufzupassen, dass Besucher draußen und die Patienten drinnen blieben. Dieselben Gerüchte sprachen von Ebola, Pest sowie von multiresistenter Diphtherie, Tuberkulose und Malaria. Der nachtdunkle Zentralpark hinter der Klinik wirkte wie eine schwarze Mauer. Über die Anzahl der Menschen, die dort ständig oder vorübergehend wohnten, gab es nur Schätzungen. Die am häufigsten genannte Summe lautete zehntausend, und niemand hatte eine bessere zu bieten.

Wir fuhren hinauf zur Eishalle, vor der nachts Hunderte von Menschen herumschwärmten und allabendlich Quartier bezogen, aus der Notunterkunft war eine ständige Bleibe geworden.

An der Kreuzung zur Mannerheimintie stand eine dunk­le Straßenbahn. Sie stand da wie ein großes Ver­gessen, so als hätte jemand einfach aus Versehen seine Straßenbahn dort abgestellt und wäre weggegangen. ­Hamid drosselte das Tempo, fuhr um die Bahn herum und dann weiter nach Töölö.

Innerhalb weniger Minuten waren wir in der Museokatu, Pasi Tarkiainen hatte in der Nummer 24 gewohnt, und der Manager der Firma für Plastikverpackungen und seine fünfköpfige Familie waren in der Vänrikki Stoolin katu 3 ermordet worden. Von Tarkiainens früherer Haustür bis zum Tatort waren es hundert Meter.

Ich sagte Hamid nicht, warum wir in dieser Straße parkten, ich wusste es ja selbst nicht.

Ich stieg aus, ging zur Nummer 24 und blickte hinüber zur Vänrikki Stoolin katu. Den Regen spürte ich erst weich auf meinem Gesicht und gleich darauf als harte, eisige Tropfen, die mir in den Kragen liefen. Ich betrachtete die nächtliche, nasse Straße, ließ den Blick schweifen, sah aber nichts, was auf einen Massenmörder oder meine verschwundene Frau hingedeutet hätte.

Als Nächstes ging ich hinüber zur Vänrikki Stoolin katu 3 und blickte in die entgegengesetzte Richtung. Die meisten Wohnungen in der Museokatu 24 hatten direkte Sicht auf den Platz, an dem ich stand. Allerdings war die Front des Hauses dunkel mit Ausnahme der obersten Etage, in der ich sechs beleuchtete Fenster nebeneinander zählte.

Als ich wieder beim Taxi ankam und einsteigen wollte, entdeckte ich in einiger Entfernung eine grüngelbe Leuchtreklame. Wieso hatte ich nicht daran gedacht?

Ich bat Hamid zu warten und lief dann die hundert Meter mit hochgezogenen Schultern und den Händen in den Taschen, so als würde mich das vor dem Nasswerden schützen. Beim Laufen überfluteten mich Erinnerungen, sie kamen in willkürlicher Reihenfolge, ohne Rücksicht auf das jeweilige Jahr und den Charakter des Ereignisses. Sie waren unwillkommene Gäste, unerwünscht.

Es gibt Dinge, die sich über die Jahre nicht ändern und kein bisschen besser werden. Die Kneipe hatte dieselbe Atmosphäre und dasselbe Aussehen wie vor zehn und fünfzehn Jahren. Die lange Bar stand direkt vor mir, als ich die vier Stufen von der Straße hinaufgestiegen war. Rechts im Raum standen drei Tische, links im größeren Saal etwa zehn. Hinter der Bar befand sich eine Öffnung, durch die man ins Hinterzimmer sehen konnte, das noch ein paar zusätzliche Tische enthielt. Die volle Kneipe vibrierte unter dem Zusammenwirken von Musik und Geschrei.

Es war nervenaufreibend, durch die Menschenmauer zur Bar vorzudringen, genauso wie ein Bier zu bestellen. Ein Halbliterkrug wurde mir hingeknallt, ich bezahlte und hielt Ausschau nach Bekannten. Die Kellner, die hinter dem Tresen hin und

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