Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,17
sagte ich. »Wo würdest du beginnen?«
Jaatinen schien meine Frage erwartet zu haben. Er überlegte keine Sekunde und sagte sofort: »Ich würde Tarkiainen suchen. Tot oder nicht.«
»Und wie?«, fragte ich.
»Mit den Informationen, die du jetzt hast, mit Instinkt und gutem Glück. All das brauchst du. Tarkiainen ist erwiesenermaßen am Leben. Irgendwo gibt es Leute, die das wissen. Es würde mich wundern, wenn er sich weit von seinem früheren Umfeld entfernt hätte. Ich habe das Gefühl, dass er die Gegend gut kennt, in der er unterwegs ist. Dasselbe trifft auf die Menschen zu, die er um sich hat. Ich würde nach seinen alten Bekannten suchen: Arbeitskollegen, Nachbarn, Golfpartner, Gesinnungsgenossen. Einer von denen hat vielleicht immer noch Kontakt zu ihm. Eventuell hat er auch eine Stammkneipe.« Jaatinen verstummte und schien absichtlich den Platz für die Anschlussfrage offen zu lassen.
»Du glaubst also nicht, dass Tarkiainen tot ist.«
Jaatinen dachte nicht über seine Antwort nach: »Nein«, sagte er mit seiner unerschütterlichen und rauen Stimme.
Wir redeten noch zehn Minuten weiter, und dabei bekam ich mehr und mehr das Gefühl, dass ich trotzdem auf Distanz gehalten wurde. Ich hatte viel erfahren, aber natürlich nicht alles. Ich hakte nicht nach. Und ich brachte es auch nicht fertig, Jaatinen direkt zu fragen, wie er Johannas Chancen einschätzte. Aber er sprach mit mir über die drei Jahre zurückliegende Entführungsserie, bei deren Aufklärung Johanna geholfen hatte, so dass die sechs- und achtjährigen Mädchen lebend – wenn auch mit dauerhaften Schäden – zu ihren Eltern zurückgebracht werden konnten. Ich begriff, dass er mit diesem Geplauder Hoffnung bei mir wecken wollte, und ich tat alles, um jeden Krümel aufzusaugen.
Nachdem wir eine Weile schweigend dagesessen hatten, stand Jaatinen auf und zog dabei seine dunkle Anzughose hoch. Ich tat dasselbe mit meinen Jeans und verspürte wieder einen scharfen Stich im Rücken. Wir gaben uns die Hand, und ich dankte ihm für seine Zeit.
Er sagte: »Wir machen weiter.«
Ich antwortete: »Ja, das machen wir.« Erst an der Tür wurde mir seine Wortwahl bewusst. Ich drehte mich zu ihm um und fragte: »Warum willst du weitermachen?«
Für einen Moment sah er nicht wie Dr. Phil aus, sondern wie ein anderer, vielleicht wie er selbst.
»Ja, warum«, es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
Auf seinem Gesicht zeigte sich etwas, vielleicht ein Anflug leiser Freude oder großen Verdrusses.
»Hier besteht noch die Möglichkeit, mehr Gutes als Böses zu tun. Und ich bin Polizist. Ich glaube an das, was ich tue. Bis etwas anderes bewiesen wird.«
9 »Du bist der merkwürdigste Mensch, den ich kenne«, hatte Johanna einmal gesagt und mir dabei die Arme um den Hals geschlungen. »Du kannst stundenlang auf deinem Platz sitzen, ins Leere starren und dabei vollkommen konzentriert sein.«
»Das stimmt aber so nicht ganz«, hatte ich erwidert und war aus meinen Gedanken erwacht. »Ich starre nicht ins Leere. Ich arbeite.«
»Mach mal zwischendurch eine Pause«, hatte sie gesagt und gelacht, »damit du dich nicht überanstrengst.«
Dann hatte sie sich rittlings auf meinen Schoß gesetzt, so dass ihre Füße nicht den Boden berührten, hatte ihre Lippen auf meine gedrückt, mich lange geküsst und auch danach noch gelacht.
Die bedeutsamsten Momente im Leben sind, während sie geschehen, so flüchtig und selbstverständlich, dass man sie gar nicht richtig beachtet. Erst hinterher fällt einem ein, den Mund aufzumachen, dem anderen zu danken oder zu sagen, dass man ihn liebt. Jetzt zum Beispiel hätte ich alles dafür gegeben, Johannas zarte Hand auf meinem Gesicht oder ihre warmen, vollen und fast trockenen Lippen an meiner Schläfe zu spüren.
Ich saß erschöpft auf der Rückbank des Taxis, starrte ins Dunkle und fühlte mich schrecklich mit meinen Gedanken. Hamid wollte wissen, wohin die Fahrt gehen sollte. Erst mal nirgendwohin, sagte ich. Ich brauchte eine kleine Atempause. So standen wir denn im nächtlichen Pasila am Straßenrand, und Hamid drehte abwechselnd das Gebläse hoch und runter. Das Gleichgewicht zu finden, war selbst in diesem Fall eine schwierige Aufgabe.
Der Regen war jetzt so leicht und weich, dass man ihn zunächst nicht als kalten Winterregen empfand, sondern erst später, wenn man völlig durchnässt war und vor Kälte zitterte. Die digitale Uhr am Armaturenbrett zeigte halb drei. Hamid bewegte die Lippen im Takt der gedämpften Musik, sah im Rückspiegel nach mir, spielte mit seinem Handy und langweilte sich sichtlich. Ich öffnete im Display meines Handys die Karte, die Johanna angefertigt hatte. Aufgelistet waren die Stadtteile:
Tapiola, Lauttasaari, Kamppi, Kulosaari.
Tuomarinkylä, Pakila, Kumpula, Töölö, Punavuori.
In der Ausdehnung West-Ost/Nord-Süd.
Ich googelte Pasi Tarkiainen, aber alles, was ich fand, war älter als fünf Jahre. Er hatte an mindestens vier verschiedenen Ort gewohnt, nämlich in den Stadteilen Kallio, Töölö, Tapiola und Munkkiniemi. Gearbeitet hatte er