Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,13

sie enger an mich, aber die andere Person war stark und hartnäckig. Ich hielt Johanna fest, ich würde nicht nachgeben. Ich versuchte, ihr ins Gesicht zu sehen, aber sie hielt den Kopf gesenkt. Meine Arme erlahmten, der Fremde bekam die Oberhand, Johanna entglitt mir und verschwand in der Dunkelheit. Als ich sie nicht mehr sehen konnte und nur Leere zurückgeblieben war, begann ich vor Kälte zu zittern. Ich fror, und meine Arme und Hände waren zu nichts mehr zu gebrauchen.

Das Licht kam von einer Neonreklame, die hinter der dünnen Gardine tiefrot glühte und Buchstaben in Schönschrift enthielt. Ich studierte sie eine Weile von links nach rechts, bis ich begriff, dass sie, von mir aus gesehen, spiegelverkehrt war. Schließlich entzifferte ich von rechts nach links: Kebab-Pizzeria.

Mein linkes Ohr juckte, ich ertastete ein Pflaster und einen raschelnden Stöpsel. Ich lag auf der Seite, und meine rechte Hand, die unter mir lag, war völlig taub. Ich zog sie hervor, umfasste den Rand meiner Matratze und setzte mich auf.

Ich befand mich in einer Art Hinterzimmer oder einem Lagerraum. Im Mund hatte ich den Geschmack von Blut und einem unbekannten Metall. Ich saß still da, holte einige Male tief Luft, schwenkte vorsichtig die gefühllose Hand am herunterhängenden Arm. Das Atmen war als Schmerz im Rücken spürbar.

Hinter einem Vorhang hörte ich ein Gespräch in einer mir unbekannten Sprache: erst die Stimme eines Mannes, dann die einer Frau. Mir fiel mein Traum ein, ich bekam es mit der Angst zu tun und zog mein Handy aus der Hosentasche. Das Display war dunkel. Entweder hatte es der Schlagstock getroffen oder der Akku war leer. Meine Angst verstärkte sich.

Ich versuchte aufzustehen, aber meine Füße trugen mich nicht, und ich sank wieder auf die Liege.

Ich heftete den Blick auf den rot glühenden Schriftzug hinter der Gardine und brachte es so fertig, aufrecht sitzen zu bleiben. Wieder atmete ich eine Weile, und als ich sicher war, dass ich nicht ohnmächtig würde, sah ich mich im Raum um. Graue Zementwände, davor Pappkartons und Müll, neben der Tür Plastiksäcke mit leeren und vollen Dosen von Erfrischungsgetränken. Außerdem ein Stuhl, an dessen Lehne der Rucksack hing, den ich von Ahti bekommen hatte. Bis dorthin waren es weniger als zwei Meter.

Ich stellte mich erneut auf die Füße, und klug geworden durch den ersten Versuch, stützte ich mich an der Wand ab. Ich schaffte es bis zum Ziel, griff zu, ging wieder zurück und setzte mich hin. Die Waffe lag schwer in meiner Hand, als der Rucksack zu Boden fiel.

Hinter dem Vorhang verstummte das Gespräch.

Ich hielt die Pistole auf dem Schoß, als der Vorhang zur Seite gezogen wurde. Hamid, ich erkannte ihn, obwohl er den roten Lichtschein jetzt im Rücken hatte, so dass sein Gesicht dunkel blieb und um seinen Kopf ein Strahlenkranz entstand, der die Konturen verwischte.

»Keine Angst«, sagte er.

Ich schüttelte den Kopf, öffnete den Mund und bewegte meine Zunge, aber ich brachte keinen Ton heraus.

»Wasser«, hörte ich Hamid rufen.

Kurz darauf wurde der Vorhang gänzlich beiseitegezogen. Eine Frau kam herein, in einer Hand trug sie eine Wasserkanne und in der anderen ein Glas. Sie füllte das Glas und reichte es mir, nachdem sie die Kanne auf dem Fußboden abgestellt hatte.

Ich trank, als täte ich es zum ersten Mal. Die Hälfte des Wassers lief mir auf die Brust, die andere Hälfte hustete ich wieder heraus. Das Schlucken erforderte Übung. Beim zweiten Glas klappte es besser, und die Frau ­musste nicht mehr zurückspringen, um einem Wasserstrahl auszuweichen.

Sie war etwa dreißig Jahre alt, hatte braune Augen, und ihre Haut war vom selben zarten Hellbraun wie die Hamids. Ihre langen dunklen Haare hatte sie im Nacken zu einem Knoten geschlungen, so dass die großen silbernen Ohrringe ungehindert klimpern konnten. Über den dunklen Jeans und dem gelben Sweatshirt trug sie eine strahlend weiße Schürze. Sie reichte mir meinen Rucksack.

»Meine Cousine«, sagte Hamid und nickte in ihre Richtung. Er kam näher und zeigte mit dem Finger auf mein Ohr. »Sie wusste, was zu tun ist.«

Ich berührte den Papier- und Pflasterstöpsel, der bewirkte, dass ich ständig ein Rascheln und Rauschen hörte. Das Ohr tat aber nicht weh, wofür ich sehr dankbar war. Ich sagte es Hamid.

»Ganz genau«, er lächelte. »Die haben dich nämlich fast fertiggemacht.«

Auch die Frau lächelte.

Ich versuchte es ebenfalls. »Danke«, sagte ich zu ihr. Erst auf Finnisch, dann auf Englisch.

»Ich spreche Finnisch«, sagte sie. »Nichts zu danken.«

»Tapani«, sagte ich und reichte ihr die Hand.

»Nina.«

Ihre Hand lag warm und schmal in der meinen, und ich hielt sie länger fest als nötig. Die zarte Berührung erinnerte mich an den Traum von meiner

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