Aschenpummel (German Edition) - By Miedler, Nora Page 0,64

du Heldin, du schaffst es.

Zwei Minuten später stand ich noch immer zehn Meter hinter den beiden. Es war sicher das dreißigste Mal, das ich kräftig ausatmete, mittlerweile war ich knapp vorm Hyperventilieren. Da drehte das Mädchen sich um. Sie legte den Kopf schief und sah mich an. So als wüsste sie ganz genau, dass ich diejenige war. Ich winkte ihr zu. Ihr Mund öffnete sich zu einem Lächeln, so spontan wie nur Kinder es hinbekommen. Sie zog am Piraten. Ich atmete ein einunddreißigstes Mal aus und ging zu ihnen.

»Hallo«, sagte ich.

»Guten Tag, Frau Kis«, sagte der Pirat.

»Hallo«, sagte das Mädchen. »Bist du die Frau Kies?«

Ich beugte mich zu ihr. »Ja, aber es wäre schön, wenn du Teddy zu mir sagst.«

»Teddy?« Sie hielt sich die Hand vor den Mund und lachte. »Teddy so wie ein Teddybär?«

Ich nickte. »Ganz genau. Und wie heißt du?«

»Cheyenne.«

»Das ist ein sehr schöner Name.«

»Ich bin schon sechs.«

»Wow.«

»Frau Kis, ich danke Ihnen sehr, dass Sie gekommen sind.«

»Und ich danke Ihnen«, antwortete ich und ging voraus zur Warteschlange. Den Anfang hatten wir geschafft.

Es dauerte eine knappe Minute, bis ich die Katastrophe entdeckte. Vier Leute waren noch vor uns, als ich bemerkte, dass ich meine Geldbörse zu Hause vergessen hatte. Wie hatte das denn passieren können? Da bereitete ich mich tagelang wie eine Verrückte auf dieses Ereignis vor und dann vergaß ich das Allerwichtigste!

Niemand, niemand auf der Welt hätte mich dazu bringen können, den Piraten zu bitten, für mich mit zu bezahlen. Das war so peinlich. Unsagbar peinlich.

Nur noch zwei Leute vor uns. Ich spürte, wie sich Schweiß auf meiner Stirn sammelte, und war mir sicher, dass er aus reinem Blut bestand. O lieber Gott, wenn du mir aus dieser Situation hilfst, dann werde ich ein besserer Mensch. Ich werde alles tun, nur bitte, bitte, bitte, bitte … mein Blick fiel auf die Familie hinter uns und vor allem auf ihre Badetasche, die sie auf den Boden gestellt hatte. Obenauf lag eine schöne, dunkelblaue Geldbörse … natürlich war es geistige Umnachtung, aber bitte, nur aus Liebe. Aus Liebe und dem unkontrollierbaren Bedürfnis, um nichts in der Welt peinlich zu sein. Bevor ich wusste, was ich tat, hockte ich mich neben die Badetasche und nahm mit der Flinkheit eines Meisterdiebs die Geldbörse an mich.

Ich hielt die Luft an. In meinen Ohren rauschte es. Würde die wütende Menge sich auf mich stürzen? War die Polizei schon unterwegs? Klickten die Handschellen? Bis auf die zweitausend Schilling aus Mamas Wäschelade und das Weihnachtsbaumgeld hatte ich noch nie etwas gestohlen.

Das Diebesgut brannte wie Feuer in meiner Hand, als ich mich der Kasse näherte.

»Frau Kis, es ist mir eine Freude, Sie einladen zu dürfen.«

Schmallippig lächelte ich den Piraten an. Hätte er mir das nicht eine halbe Minute früher sagen können?

Mein Versuch, die Geldbörse unbemerkt in die Familientasche zurückzubefördern, misslang gründlich. Der Jüngste zeigte auf mich und rief: »Die hat was zu unseren Sachen geschmissen.«

Ich beugte mich zu ihm und versuchte, möglichst kinderlieb dreinzuschauen. »Das war ein Zaubertrick, Kleiner«, flüsterte ich.

Auf der Stelle baute sich das bärtige Oberhaupt vor mir auf. »Lassen Sie unseren Sohn in Ruhe!«

»Ich –«

»Frau Kis, ist alles in Ordnung?«

»Die hat meinen Sohn angequatscht!«

Am liebsten hätte ich diesem Dämlack von fürsorglichem Familienvater eins übergezogen. Ich hatte ihm doch nur das Diebesgut zurückgegeben!

»Komm, Cheyenne«, sagte ich, nahm das Mädchen bei der Hand und war heilfroh, kindliche Unterstützung an meiner Seite zu haben.

Kaum waren Cheyenne und ich in der Damenumkleide angekommen, raunte ich ihr verschwörerisch zu: »Sag mal, warum trägt dein Onkel eigentlich die …« Wenn du ihn wirklich liebst, dann lass ihn das mit der Augenklappe selbst erklären, mahnte Giselas Stimme in meinem Ohr. Cheyenne sah mich erwartungsvoll an. Ich seufzte: »Die weiße Hose?«

Cheyenne zuckte die Schultern. Dann zog sie sich ganz alleine um und legte ihr Kleid, ihre Unterhose und ihre Socken so sorgfältig zusammen, dass meine pedantische Mutter ihre Freude daran gehabt hätte. Ich schmiss mein Zeug irgendwie hinterher und tänzelte möglichst unauffällig in die Nähe des Ganzkörperspiegels.

Das sah nicht gut aus. Hatte ich wirklich so viel Cellulite? Hatte Gisela nicht gesagt, das würde nur an dem grellen Licht in der Boutique liegen? Himmel, beide Schenkeln zusammengenommen, mussten das an die dreißig Dellen sein. Was heißt Dellen, Löcher!

Okay, du darfst ihn einfach nie hinter dich lassen, konzentrier dich auf die Front. Schultern nach hinten, Bauch rein, Brust raus, oha, was war das? Ich kniff die Augen zusammen und beugte mich nach vorne. Mein Kopf knallte gegen den Spiegel.

»Was machst du denn da, Teddy?«, fragte Cheyenne.

Ȁhm nichts, Cheyenne. Sei so lieb, ich muss nur

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