Aschenpummel (German Edition) - By Miedler, Nora Page 0,51

du mir, die Schuhkartons zu durchsuchen?«, fragte ich sie stattdessen.

Be-De schwang ihren Pferdeschwanz. »Logo«, sagte sie.

Die Unbekümmertheit der Jugend hatte manchmal doch auch ihren Vorteil.

Als Be-De um eins ging, hatten wir etwa ein Fünftel der Kartons durchsucht. Wäre die kleine Melli nicht mit ihrem tropfenden Schokoladeneis in den Laden gekommen und hätte uns beide über eine Stunde auf Trab gehalten, dann hätten wir vermutlich sogar noch mehr geschafft.

Um halb drei schneite Vanessa rein. Ich bediente gerade die Frau unseres Fleischers, die sich ihre monatliche Ration an weißen Pantoffeln holte. Für sich, für ihren Mann und für den Lehrling, der zwar neu war, aber sicher die gleiche Schuhgröße hatte wie der alte Lehrling. Na klar, dachte ich, Schuhgröße 43 haben Lehrlinge so an sich.

Als Vanessa erschien, fiel mir auf, dass Be-De und ich vor lauter Schatzsuchen vergessen hatten, die Sinatra-CD auf Repeat zu stellen. Kein Girl from Ipanema für Vanessa heute. Das tat mir fast ein bisschen leid, doch dann sagte Vanessa: »Wunderschönen guten Tag, liebste Freundin, ich gehe gleich nach hinten, gell?«

»Nein!«, rief ich und ließ die weißen Pantoffeln fallen. »Neineinein, ähm, Frau … gnä’ Frau, das macht dann 42 Euro 80. Vanessa, warte bitte!«

Die Frau vom Fleischer drückte mir einen Fünfziger in die Hand, ich öffnete die Kassa, schleuderte den Fünfziger hinein und warf der Dame irgendwelches Restgeld entgegen.

»Auf Wiedersehen«, verabschiedete ich die Kundin und stürzte mich auf Vanessa, die gerade hinter dem Vorhang verschwinden wollte.

»Halt, was machst du denn da? Bleib hier, um Gottes willen, da – da drin ist meine Chefin«, verfiel ich in den Flüsterton. »Du kannst da jetzt nicht rein.«

»Oooch«, Vanessa zog eine Schnute, die ihr das Aussehen einer Ente bescherte. Natürlich von so einer süßen, hübschen von Walt Disney oder so.

»Es tut mir leid, Vanessa.«

Die Ente schmollte. »Wann kann ich mir die Schuhe endlich fertig ansehen?«

»Warum ist das überhaupt so wichtig?«, fragte ich misstrauisch und betete inbrünstig, dass sie mir einen glaubwürdigen und vor allem stinknormalen Grund nennen konnte. Ich wollte doch bitte, bitte einfach nur, dass sie mich wirklich mochte und dass sie wirklich meine Freundin sein wollte, bitte, bitte, alles andere würde ich nicht ertragen.

Vanessa sank auf meinen Hocker. Verdammt, ich hatte ihn nach dem Besuch der kleinen Melli vorhin noch nicht abgewischt und Vanessa trug heute so schöne helltürkise Shorts. Außerdem gab sie wieder ihre Weltschmerznummer. Wahnsinn, die Tränen perlten von ihrem Gesicht ab wie Wasser von einem Entenpopo.

»Vanessa, was ist denn? Ich wollte dich nicht traurig machen.« Ich streichelte ihren Rücken, doch die Bewegung war mir so fremd, dass ich mir sicher war, alles falsch zu machen. Und die Worte hatten geklungen, als würde ich meinen ersten Auftritt bei der Laienbühnengruppe von Sankt Hintermond geben. Im Trösten hatte ich nicht viel Übung.

Vanessas Vorstellung hingegen war oscarreif. Es regnete wahre Sturzbäche aus ihren Augen, ja, es stand fast zu befürchten, dass die schöne blaue Farbe ein Opfer dieser Niagarafälle werden würde. Ente mit weißgewaschenen Augen.

Konzentrier dich, Teddy, mach was!

»Bitte, Vanessa, bitte sag mir doch, was du hast –«

»Ich bin krank, Teddy, verstehst du das nicht? Krank!«

Ich hockte mich neben sie, mein Herz klopfte plötzlich sehr schnell. »Was … was hast du denn?«

»Ich bin süchtig. Ich bin süchtig nach Schuhen. Von früh bis spät kann ich an nichts anderes denken. Mein ganzes Leben dreht sich nur darum. Und Geld hab ich auch keines mehr, weil ich – oh Gott!« Vanessa schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte laut auf. »Es ist so schwer, so wahnsinnig schwer, sich das selbst einzugestehen. Mir das selbst einzugestehen, verstehst du? Verstehst du?«

Ich nickte. Dass Dinge schwer waren, verstand ich. In der Tat.

»Teddy«, Vanessa griff nach meiner Hand und sah mich flehend an. »Teddy, bitte, lass mich nur noch ein einziges Mal da nach hinten!«

»Nein«, sagte ich fest. »Dann wäre ich keine gute Freundin.«

»Oh Teddy, willst du überhaupt noch meine Freundin sein?«

»Ja, natürlich. Es … es gibt doch keinen Grund, warum ich das nicht sein wollte. Außer dass … naja, du … du kommst wahrscheinlich nur wegen der Schuhe her …«

»Nein!«, rief Vanessa. »Nein, das stimmt so nicht. Hauptsächlich natürlich schon wegen der Schuhe, ja. Aber ein bisschen auch, weil ich dich mag. Du bist einfach so anders als die anderen Frauen, die ich kenne … du bist einfach so schön normal.«

Ich musste lachen. »Warum? Weil ich nicht auf Schuhe stehe?«

Vanessa lachte nicht mit. Sie nickte heftig und ernst. »Ja, genau deswegen.«

Und ich hatte immer gedacht, dass ich genau deswegen eben keine normale Frau war.

Ich räusperte mich. »Was hältst du davon, wenn wir uns das nächste Mal

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