Das Spinoza-Problem - By Yalom, Irvin D Page 0,43

ein wahrheitsliebender Kaufmann zu seinem Kunden sagen könnte: ›Bitte kaufen Sie diese Rosinen hier – Sie würden mir damit einen großen Gefallen tun. Sie sind schon Jahre alt, verschrumpelt, und ich muss sie loswerden, bevor nächste Woche die Lieferung mit den saftigen Rosinen kommt.‹«

Als van den Enden nicht das geringste Anzeichen von Heiterkeit bei Bento entdeckte, dachte er an etwas, was er schon früher festgestellt hatte: Bento hatte keinerlei Sinn für Humor. Er ruderte zurück: »Aber ich wollte damit nicht die ernsten Dinge herunterspielen, die Sie mir erzählen.«

»Sie fragten mich nach meiner Diskretion innerhalb der Gemeinde. Abgesehen von meinem Bruder und diesen beiden Fremden aus Portugal, die bei mir Rat suchten, habe ich meine Ansichten immer für mich behalten. Die beiden traf ich übrigens erst vor wenigen Stunden und gab ihnen freimütig Auskunft über meine Ansichten zu abergläubischen Überzeugungen, um dem einen zu helfen, der vorgab, in einer spirituellen Krise zu stecken. Ich ließ mich mit den beiden Besuchern auf eine kritische Lesung der hebräischen Bibel ein. Seit ich mich ihnen gegenüber offenbart habe, weiß ich nun, was es ist, was Sie ›innere Harmonie‹ nannten.«

»Sie hören sich so an, als hätten Sie sich lange Zeit Stillschweigen verordnet.«

»Nicht konsequent genug in den Augen meiner Familie oder meines Rabbiners, der ausgesprochen verärgert über mich ist. Ich sehne mich nach einer Gemeinschaft, die sich nicht sklavisch an falsche Überzeugungen klammert.«

»Und auch wenn Sie auf der ganzen Welt danach suchen, werden Sie doch keine Gemeinschaft finden, die nicht abergläubisch ist. Solange es Unwissen gibt, solange wird es ein Festhalten am Aberglauben geben. Unwissen zu beseitigen ist die einzige Lösung. Das ist der Grund, weshalb ich unterrichte.«

»Ich fürchte, das ist ein verlorener Kampf«, antwortete Bento. »Unwissenheit und abergläubische Überzeugungen breiten sich wie Flächenbrände aus, und ich glaube, dass religiöse Führer dieses Feuer nähren, um ihre Stellung zu sichern.«

»Das sind gefährliche Worte, die Ihr jugendliches Alter Lügen strafen. Ich sage Ihnen noch einmal, dass Verschwiegenheit vonnöten ist, um in irgendeiner Gemeinschaft bleiben zu können.«

»Ich bin überzeugt davon, dass ich frei sein muss. Wenn eine solche Gemeinschaft sich nicht finden lässt, dann muss ich vielleicht ohne sie leben.«

»Erinnern Sie sich daran, was ich zu ›caute‹ sagte? Wenn Sie nicht auf der Hut sind, könnte es sein, dass Ihre Wünsche, aber vielleicht auch Ihre Ängste in Erfüllung gehen.«

»Diesen Status ›könnte‹ habe ich bereits überschritten. Ich glaube, dass ich den Stein bereits ins Rollen gebracht habe«, antwortete Bento.

12

ESTLAND, 1918

Am Tag nach ihrem ersten Treffen behielt Alfred den Eingang des Bierkellers im Auge, und als er Friedrich entdeckte, sprang er auf, um ihn zu begrüßen. »Friedrich, schön, dich zu sehen. Danke, dass du dir Zeit für mich genommen hast.«

Sie holten sich ihr Bier am Tresen ab und setzten sich wieder an denselben ruhigen Ecktisch. Alfred hatte beschlossen, nicht wiederum im Mittelpunkt der gesamten Unterhaltung zu stehen, und begann: »Wie geht es dir und deiner Mutter?«

»Meine Mutter steht noch immer unter Schock. Sie versucht nach wie vor zu begreifen, dass mein Vater nicht mehr da ist. Zuweilen scheint sie zu vergessen, dass er tot ist. Zweimal glaubte sie, ihn in einer Menschenmenge draußen gesehen zu haben. Und die Realitätsverweigerung in ihren Träumen, Alfred, ist wirklich außergewöhnlich! Als sie heute Morgen aufwachte, sagte sie, es wäre schrecklich gewesen, die Augen zu öffnen: Sie war so glücklich gewesen, in ihrem Traum mit meinem Vater zusammen zu sein, dass es ihr widerstrebte, in einer Realität aufzuwachen, in der er noch immer tot war.

Was mich betrifft«, fuhr Friedrich fort, »so kämpfe ich genauso wie die deutschen Streitkräfte an zwei Fronten. Ich muss mich nicht nur mit der Tatsache seines Todes auseinandersetzen, sondern in der kurzen Zeit, in der ich hier bin, auch meine Mutter unterstützen. Und das ist verzwickt.«

»Was meinst du mit verzwickt?«, fragte Alfred.

»Um jemandem zu helfen, muss man in die Welt dieses Menschen eintauchen, glaube ich. Aber immer wenn ich das bei meiner Mutter versuche, flitzen meine Gedanken davon, und einen Augenblick später denke ich an etwas vollkommen anderes. Gerade vorhin weinte meine Mutter, und als ich ihr den Arm um die Schulter legte, um sie zu trösten, merkte ich, dass meine Gedanken zum heutigen Treffen mit dir wanderten. Einen Moment lang fühlte ich mich schuldig. Dann rief ich mir in Erinnerung, dass ich auch nur ein Mensch bin und dass Menschen zu ihrem Schutz einen eingebauten Verdrängungsmechanismus haben. Ich dachte darüber nach, warum ich mit meinen Gedanken nicht beim Tod meines Vaters bleiben kann. Ich glaube, es liegt daran, dass mich sein Tod mit meinem eigenen Tod konfrontiert, und mich mit dieser

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