selbst als Zuschauer, der den Verlauf der Aufführung verfolgte. Augenblicklich tauchte Gabriels Gesicht mit seiner ganzen Traurigkeit und Verwirrung auf der Bühne auf, doch Bento hatte gelernt, den Vorhang fallen zu lassen und zum nächsten Akt überzugehen. Bald erschien van den Enden vor seinem geistigen Auge. Er lobte Bentos Fortschritte in Latein und drückte ihm dabei sanft und väterlich die Schulter. Diese Berührung – sie fühlte sich gut an. Aber wer wird mich nun jemals wieder berühren, dachte Bento, da Rebecca und nun auch Gabriel sich von mir abwenden?
Dann sah Bento in Gedanken sich selbst beim Hebräischunterricht mit seinem Lehrer und mit Clara Maria. Er lächelte, als er mit seinen beiden Schülern wie mit Kindern das aleph, bet, gimmel paukte, und er lächelte noch mehr bei der Vorstellung, wie die kleine Clara Maria ihrerseits mit ihm das griechische alpha, beta, gamma paukte. Er sah das klare, fast strahlende Bild Clara Marias vor sich – Clara Maria, dieser dreizehnjährige Kobold mit dem krummen Rücken, diese Kindfrau, deren verschmitztes Lächeln ihre Anstrengungen Lügen strafte, sich als erwachsene, ernsthafte Lehrerin auszugeben. Ein flüchtiger Gedanke huschte vorüber: Ach, wäre sie nur älter.
Zur Mittagszeit wurde seine ausgedehnte Meditation durch eine Bewegung vor dem Fenster gestört. In der Ferne sah er Jacob und Franco, die, im Gespräch vertieft, auf seinen Laden zusteuerten. Bento hatte sich fest vorgenommen, ihnen zuvorkommend zu begegnen; er wusste, dass es sich nicht gehörte, andere verstohlen zu beobachten, und ganz besonders andere, die möglicherweise über ihn sprachen. Doch er konnte seine Augen nicht von der seltsamen Szene abwenden, die sich vor seinen Augen abspielte.
Franco trödelte drei oder vier Schritte hinter Jacob her, woraufhin Jacob sich umdrehte, ihn an der Hand packte und versuchte, ihn hinter sich herzuziehen. Franco machte sich los und schüttelte heftig den Kopf. Jacob antwortete, und nachdem er sich umgeblickt hatte, um sicher zu gehen, dass keine Augenzeugen zu sehen waren, legte er seine riesigen Pranken auf Francos Schultern, schüttelte ihn grob und stieß ihn vor sich her, bis sie den Laden erreicht hatten.
Gebannt von diesem Schauspiel, beugte Bento sich kurz vor, kehrte aber bald wieder zu seiner Meditation zurück und brütete über das Rätsel Franco und Jacob. Ein paar Minuten später wurde er aus seinen Träumereien gerissen, als die Tür zu seinem Laden aufging und er Schritte im Verkaufsraum vernahm.
Er sprang auf, begrüßte seine Besucher und zog zwei Stühle für sie heran. Er selbst setzte sich auf einen riesigen Sack Kaffeebohnen.
»Kommen Sie gerade vom Sabbat-Gottesdienst?«
»Ja«, sagte Jacob, »einer von uns erfrischt und der andere noch aufgewühlter als zuvor.«
»Interessant. Dasselbe Ereignis zeitigt zwei unterschiedliche Reaktionen. Und die Erklärung für dieses sonderbare Phänomen?«, fragte Bento.
Jacob beeilte sich mit einer Antwort. »Die Angelegenheit ist nicht so interessant, und die Erklärung liegt auf der Hand. Anders als Franco, der keine jüdische Erziehung genossen hat, bin ich mit den jüdischen Traditionen und der hebräischen Sprache bestens vertraut und …«
»Gestatten Sie mir, Sie zu unterbrechen«, sagte Bento. »Aber Ihre Erklärung bedarf schon im Ansatz einer Erklärung. Kein Kind, das in Portugal in einer Familie von Marranen aufwuchs, ist mit Hebräisch oder mit jüdischen Ritualen vertraut. Das galt auch für meinen Vater, der erst Hebräisch lernte, nachdem er Portugal verlassen hatte. Er erzählte mir, dass in seiner Kindheit in Portugal gegen jede Familie, die ihre Kinder in der hebräischen Sprache oder in den jüdischen Traditionen unterrichtet hätte, exemplarische Strafen verhängt wurden. Hörte ich übrigens nicht erst gestern von einem geliebten Vater«, und damit wandte Spinoza sich an Franco, »der sterben musste, weil die Inquisition eine vergrabene Thora fand?«
Franco, der sich nervös mit den Fingern durch die langen Haare fuhr, sagte nichts, nickte aber kaum merklich.
Bento wandte sich wieder Jacob zu und fuhr fort: »Deshalb meine Frage, Jacob: Woher haben Sie Ihre Kenntnisse des Hebräischen?«
»Vor drei Generationen konvertierte meine Familie zum neuchristlichen Glauben«, beeilte Jacob sich zu sagen, »doch sie blieben Kryptojuden und fest entschlossen, den Glauben am Leben zu erhalten. Als Jugendlicher von elf Jahren wurde ich von meinem Vater nach Rotterdam geschickt, wo ich in seinem Handelsunternehmen arbeitete, und die folgenden acht Jahre verbrachte ich jeden Abend damit, mit meinem Onkel, einem Rabbiner, Hebräisch zu studieren. Er bereitete mich auf die Bar Mitzwa in der Rotterdamer Synagoge vor und setzte anschließend meine jüdische Erziehung bis zu seinem Tode fort. Die letzten zwölf Jahre lebte ich hauptsächlich in Rotterdam und kehrte kürzlich nur deshalb nach Portugal zurück, um Franco zu retten.«
»Und Sie«, Bento wandte sich Franco zu, dessen Blick auf den schlecht gefegten Fußboden des Spinoza-Ladens geheftet war, »Sie können kein Hebräisch?«
Aber Jacob antwortete an