Das Spinoza-Problem - By Yalom, Irvin D Page 0,100

Unsere Zeichnungen waren gut; wir lobten uns gegenseitig und stellten Ähnlichkeiten bei unserer Arbeit fest. Wir beide sind ziemlich gut, was architektonische Motive anbelangt, und ziemlich schwach bei menschlichen Figuren. Ich hatte mich immer gefragt, ob meine Unfähigkeit, Menschen zu zeichnen, vielleicht Symbolkraft hat, und war erleichtert, als ich feststellte, dass ihm die gleichen Grenzen gesetzt sind. Bei Hitler hat es ganz bestimmt keine Symbolkraft – niemand kann besser mit Menschen umgehen als er.«

»Hört sich an, als hätte es dir Spaß gemacht. Hast du danach noch einmal mit ihm gezeichnet?«

»Er hat es mir nie wieder vorgeschlagen.«

»Erzähl mir von anderen schönen Erlebnissen mit ihm.«

»Der allerschönste Tag in meinem Leben war vor ungefähr drei Wochen. Hitler ging gemeinsam mit mir einen Schreibtisch für mein neues Büro kaufen. Seine Geldbörse war mit Schweizer Franken vollgestopft – keine Ahnung, wie er an die gekommen ist, und ich frage niemals nach. Ich überlasse es lieber ihm zu entscheiden, was er mir wann erzählt. Eines Vormittags kam er in den Beobachter und sagte: ›Wir gehen einkaufen. Du kannst dir jeden Schreibtisch kaufen, der dir gefällt – und auch das ganze Zeug, was du daraufstellen willst.‹ Und dann zogen wir zwei Stunden lang durch die teuersten Möbelgeschäfte in München.«

»Der schönste Tag deines Lebens – das sagt viel aus. Erzähl mir mehr davon.«

»Zum Teil war es einfach die Begeisterung über das Geschenk. Stell dir vor, da geht einer mit dir los und sagt: ›Kauf dir jeden Schreibtisch, der dir gefällt.‹ Zu jedem Preis. Und dass Hitler sich so viel Zeit für mich genommen hat, war einfach göttlich!«

»Warum ist er so wichtig für dich?«

»Von einem praktischen Standpunkt aus gesehen, ist er inzwischen Parteivorsitzender, und meine Zeitung ist die Parteizeitung. Somit ist eigentlich er mein Chef. Aber ich glaube nicht, dass du das meintest.«

»Nein, ich meinte ›wichtig‹ in einem tieferen, persönlicheren Sinn.«

»Schwer in Worte zu fassen. Hitler hat einfach diese gewisse Ausstrahlung, nicht nur auf mich, sondern auf alle.«

»Er ging mit dir auf eine wunderbare Einkaufstour. Hört sich an, als hättest du dir das auch von deinem Vater gewünscht.«

»Du kanntest ja meinen Vater! Kannst du dir vorstellen, dass er mit mir losgegangen wäre und mir irgendetwas gekauft hätte, und wenn es nur ein Bonbon gewesen wäre? Ja, es stimmt, er hat seine Frau verloren, um seine Gesundheit war es wirklich schrecklich bestellt, und er hatte große Geldprobleme, aber ich habe trotzdem nichts, absolut nichts von ihm bekommen.«

»In diesen Worten schwingen viele Gefühle mit.«

»Alle Gefühle, die du dir denken kannst.«

»Ich kannte ihn. Und ich weiß, dass du von ihm als Vater so gut wie nichts hattest – und natürlich kanntest du nicht einmal deine Mutter.«

»Tante Cäcilie tat, was sie konnte. Ihr gebe ich wirklich keine Schuld – sie hatte ja selbst Kinder. Zu viele Köpfe, die sie streicheln musste.«

»Nun, dann kommt deine große Zuneigung zu Hitler vielleicht ein Stück weit daher, dass er dir den Vater ersetzt, den du nie hattest. Wie alt ist er?«

»Ach, er ist ein paar Jahre älter. Er ist ganz anders als alle, die ich bisher kennen gelernt habe. Im Krieg war er nur Gefreiter, wenn auch hoch dekoriert. Er hat keine finanziellen Mittel, keine Kultur, hat nie eine Universität besucht. Aber trotz allem fasziniert er alle. Nicht nur mich. Die Leute scharen sich um ihn. Alle suchen seine Gesellschaft und seinen Rat. Alle spüren, dass er ein Heilsbringer ist, der Polarstern für die Zukunft Deutschlands.«

»Du hältst dich also für privilegiert, mit ihm zusammensein zu dürfen. Entwickelt sich eure Beziehung zu einer engen Freundschaft?«

»Das ist genau der Punkt – sie entwickelt sich eben nicht. Abgesehen natürlich von diesem ›Schreibtisch-Tag‹. Hitler kommt nie von sich aus auf mich zu. Ich glaube, er mag mich, aber er liebt mich nicht. Er fragt mich nie, ob ich mit ihm essen gehe. Anderen Leuten steht er viel näher. Vorige Woche sah ich, wie er sich mit Hermann Göring ausgesprochen vertraulich unterhalten hat. Sie haben die Köpfe so dicht zusammengesteckt, dass sie sich sogar berührten. Sie hatten sich gerade erst kennengelernt, aber sie lachten und scherzten miteinander, liefen Arm in Arm herum und knufften sich gegenseitig in den Bauch, als wären sie schon ein Leben lang befreundet. Warum passiert mir so etwas nicht?«

»Deine Bemerkung ›Er liebt mich nicht‹ – denk darüber nach. Lass deine Gedanken um diese Worte kreisen. Denk laut nach.«

Alfred schloss die Augen.

»Ich kann dich nicht richtig hören«, sagte Friedrich.

Alfred lächelte. »Liebe. Jemand, der mich liebt. Diese Worte habe ich nur einmal gehört, als ich mit Hilda in Paris war, bevor wir geheiratet haben.«

»Du bist verheiratet! Ja, das hatte ich

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