Der Heiler - By Tuomainen, Antti Page 0,35

namens Pasi Tarkiainen.«

Auf ihrer Stirn bildeten sich ein paar stilvolle Falten, die vollen Lippen kräuselten sich leicht. Diese Miene kannte ich.

»Ich verstehe nicht ganz«, sagte sie, genau wie ich erwartet hatte. »Ist deine Frau mit Tarkiainen durchgebrannt?«

Ich schüttelte den Kopf und merkte, dass ich es bedeutend geduldiger tat als vor zwanzig Jahren. »Falls ja, dann zumindest nicht freiwillig. Du erinnerst dich anscheinend an den Mann.«

»Wer nicht«, sagte sie und klang sofort genervt. »Alle erinnern sich an Pasi Tarkiainen, er war ein charismatischer, junger Student und Umweltaktivist. Äußerst radikal und, unbestreitbar, äußerst attraktiv. Jetzt im Nachhinein hatte er natürlich recht, was den Ernst der Lage anging, aber seine Methoden …«, sie unterbrach sich.

»Ich habe davon gehört«, sagte ich. »Und diese Mehtoden haben möglicherweise damit zu tun, dass meine Frau sich auf seine Spur begeben hat.«

»Hat Pasi oder vielmehr Tarkiainen denn …«, sagte Laura, sah mir in die Augen und suchte nach dem richtigen Ausdruck, »… etwas verbrochen?«

»Kann sein, ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt, Laura, bin ich ziemlich fertig und ziemlich verzweifelt. Ich weiß mit Sicherheit nur, dass meine Frau verschwunden ist. Alles andere ist Spekulation. Ich gehe allem nach, was auch nur entfernt mit der Sache zu tun hat.«

»Wie lange ist deine Frau schon verschwunden?«

Ich wollte instinktiv auf die Uhr sehen, merkte es aber noch rechtzeitig und hielt inne. »Anderthalb Tage, fast zwei.«

»Warst du schon bei der Pol …«

»Laura«, unterbrach ich sie so schroff und abrupt, dass ich selbst erschrak. »Die Polizei hat mich auf Tarkiainen hingewiesen. Da ich keine andere Spur habe, verfolge ich eben diese. Die Polizei tut überhaupt nichts, sie kann nichts tun.«

Meine Stimme hatte sich gehoben, klang scharf und hart. Ich bemerkte es selbst. Außerdem war Lauras Miene wieder die altbekannte von früher.

»Entschuldige«, sagte ich.

»Macht nichts, fast so wie früher. Jetzt sollte ich wohl lauter werden.«

Wir schwiegen eine Weile, dann begann Laura zu lächeln. Auch ich musste lächeln. Stolpersteine. Minen und Fallen.

»Gut, dass wir den Streit wenigstens so lange hinausgezögert haben, bis wir uns gemütlich hingesetzt haben«, sagte Laura.

Ich musste lachen, das erste Mal nach langer Zeit. Das Lachen breitete sich im Körper aus wie Wärme, die durch eine Berührung entstand. Es tat gut.

»Soll ich dir nun noch Traumtänzerei, mangelnde Initiative und fehlende Zielorientierung vorwerfen?«, fragte sie.

»Warum nicht?«, sagte ich lachend. »Ich könnte daraufhin schreien, wie berechnend und hinterhältig und was für eine Streberin du bist.«

Sie hörte auf zu lachen, aber ein Lächeln blieb und sorgte für einen feuchten Schimmer in ihren großen braunen Augen.

»Ich hatte dich gern«, sagte sie. »Trotz allem.«

Ich sah sie an, sagte: »Ich dich auch.«

Sie lächelte immer noch. »Wahrscheinlich ist es sinnlos, darüber nachzudenken, ob alles hätte anders laufen können, im Kleinen wie im Großen«, sagte sie.

»Es ist so, wie es ist«, sagte ich.

In ihren Augen spiegelte sich jetzt eine Wärme, die ich vor zwanzig Jahren so unendlich vermisst hatte. »Ihr seid glücklich.«

»Sehr«, gab ich zu.

»Ich freue mich für dich.«

»Danke.«

Als ich weiter nichts sagte, holte sie Luft. »Tarkiainen also.«

Sie erzählte von dem Mann, und ich hörte zu, ohne sie zu unterbrechen. Der Verlauf seiner Persönlich­keitsentwicklung war mir bereits aus Elinas Bericht bekannt: erst hoffnungsvoller Aktivismus, dann einspurige Radikalisierung, schließlich enttäuschter Rückzug. Wohin, das wusste Laura nicht, und ich klärte sie nicht auf.

Laura hatte Tarkiaianen am Ende ihres Studiums kennengelernt, als das Wissen um den Ernst der Klimaveränderung vorübergehend die Menschen vereinte und den Rahmen schuf für das Entstehen vieler wunderbarer und gutgemeinter Vereine, Organisationen und Parteien.

»Aber wie wir jetzt wissen«, resümierte Laura, und ich merkte, dass sie sich dabei eine Spur erregte, »war der Zusammenhalt nur vorübergehend. Am Ende siegte das Interesse der Großunternehmer, mit anderen Worten das Interesse von ein paar Tausend ohnehin schon superreichen Menschen, und zwar wieder mal unter dem Deckmantel eines Wirtschaftswachstums zum Nutzen der Allgemeinheit. Unterstützt wurde die Rückkehr zum alten Verhalten noch dadurch, dass die Leute das vorübergehende Maßhalten und den Konsumverzicht leid waren und wieder so leben wollten wie vorher: ­egoistisch, gierig und verantwortungslos – so wie sie es ­gelernt hatten. So wurden langfristig angelegte Umweltstrategien fallen gelassen. Stattdessen gab es immer größere Häuser, immer neuere Autos und breitere Flachbildfernseher, mit den Jahreszeiten wechselnde neue Wohnungseinrichtungen, neue Technik und Elektronik, neue Mixer, Toaster, Mos­ter und Froster sowie natürlich die wöchentlich auszutauschende Garderobe. Und all das musste billiger zu haben sein als je zuvor. Was wiederum die Spirale der Vernichtung noch mehr beschleunigte.«

Ich wollte Laura nicht unterbrechen und ihr sagen, dass sie meiner Meinung nach die Dinge vereinfachte und überspitzte. Mir war klar, dass sie das selbst wusste. Vielleicht musste sie nur mal bei jemandem ihren

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