Das Spinoza-Problem - By Yalom, Irvin D Page 0,78

Treffen. Er fliegt heute mit zwei Kollegen hin und hat sich bereit erklärt, bei der weißrussischen Gemeinde in Paris Gelder aufzutreiben. Er fliegt mit einer neuen Junkers F13, in der für vier Passagiere Platz ist. Ich wollte ihn eigentlich selbst begleiten, aber ein paar unangenehme Schmerzen gestern in der Brust haben das leider unmöglich gemacht. Mein Arzt und meine Frau verbieten mir die Reise. Ich möchte, dass du an meiner Stelle fliegst.«

»Es tut mir leid, dass Sie krank sind, Herr Eckart. Aber wenn Ihr Arzt Ihnen Ruhe verschrieben hat, möchte ich Sie nicht mit den nächsten beiden Ausgaben allein …«

»Von Ruhe hat der Arzt nichts gesagt. Er ist nur vorsichtig, weil er nur wenig über die Auswirkungen einer Flugreise auf diese Art von Beschwerden weiß. Die Ausgaben sind so gut wie fertig. Ich werde mich darum kümmern. Und du fliegst nach Paris.«

»Und was möchten Sie, dass ich dort mache?«

»Ich möchte, dass du Herrn Popoff begleitest, wenn er mit potentiellen Spendern zusammenkommt. Wenn er will, wirst du selbst uns bei den Spendern präsentieren. Es ist an der Zeit, dass du lernst, mit reichen Leuten zu sprechen. Danach wirst du gemächlich mit dem Zug nach Hause fahren. Nimm dir eine ganze Woche oder auch zehn Tage Zeit. Sei ein freier Mann. Fahre, wohin du willst, und beobachte nur. Schau dir an, wie unsere Feinde den Versailler Frieden auskosten. Mach Notizen. Alle deine Beobachtungen werden für die Zeitung von Nutzen sein. Übrigens war Herr Popoff auch damit einverstanden, dir genügend französische Francs zur Verfügung zu stellen. Du wirst sie brauchen. Die Deutsche Mark ist im Ausland dank der Inflation fast wertlos. Hier ist sie auch fast wertlos!«

»Ja, ein Laib Brot wird jeden Tag teurer«, bestätigte Alfred.

»Genau. Und ich schreibe gerade einen Artikel für die nächste Ausgabe, warum wir den Preis für die Zeitung schon wieder heraufsetzen müssen.«

Beim Start klammerte Alfred sich an die Armlehnen seines Sitzes und starrte aus dem Fenster, unter dem München von Sekunde zu Sekunde kleiner wurde. Amüsiert von Alfreds Angst, versuchte Herr Popoff, mit blitzenden Goldzähnen den Motorenlärm zu übertönen: »Fliegen Sie zum ersten Mal?« Alfred nickte und schaute aus dem Fenster, dankbar dafür, dass der Krach eine Unterhaltung mit Herrn Popoff und den anderen beiden Passagieren unmöglich machte. Er dachte an Eckarts Bemerkung über ein lockeres Gespräch … Warum fiel es ihm so schwer, eine unverbindliche Unterhaltung zu führen? … Warum war er so verschlossen? … Warum erzählte er Eckart nicht, dass er einmal mit seiner Tante in die Schweiz gereist war und dass er und seine damalige Verlobte Hilda vor wenigen Jahren kurz vor Kriegsausbruch in Paris gewesen waren? Vielleicht wollte er nur seine baltische Vergangenheit vergessen und als deutscher Bürger im Vaterland wiedergeboren werden. Nein, nein, nein – er wusste, dass es tiefer ging. Sich jemandem zu öffnen war für ihn schon immer bedrohlich gewesen. Genau deshalb waren seine beiden Gespräche mit Friedrich im Bierkeller ja so außergewöhnlich und so befreiend gewesen. Er versuchte, tiefer in sich hinein zu hören, verlor aber wie immer den Faden. Ich muss mich ändern … Ich werde Friedrich wieder besuchen.

Am nächsten Tag überließ Herr Popoff es Alfred, die Diskussion über das Parteiprogramm zu führen und zu erläutern, aus welchen Gründen diese Partei die einzige war, die den Judäo-Bolschewiken das Handwerk legen konnte. Ein Bankier mit funkelndem Diamantring am kleinen Finger fragte Alfred: »Wenn ich nicht irre, ist der offizielle Name Ihrer Partei jetzt Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei?«

»Ja.«

»Warum ein so sperriger und verwirrender Name? ›National‹ impliziert rechts, ›sozialistisch‹ links, ›Deutschland‹ rechts und ›Arbeiter‹ links! Das ist unmöglich. Wie kann Ihre Partei alles zugleich sein?«

»Das ist genau das, was Hitler will, alles für alle Menschen sein – außer natürlich für die Juden und die Bolschewisten. Wir haben einen langfristigen Plan. Unser erstes Ziel ist es, in den nächsten Jahren in großer Zahl ins Parlament zu kommen.«

»Parlament? Sie glauben, dass die unwissenden Massen regieren können?«

»Nein. Aber zuerst einmal müssen wir an die Macht. Unsere parlamentarische Demokratie ist durch den Einfall der Bolschewisten geschwächt, und ich verspreche Ihnen, dass wir am Ende mit diesem ganzen parlamentarischen System aufräumen werden. Hitler hat in meiner Gegenwart viele Male genau diese Worte gewählt. Und mit seiner neuen Plattform hat er die Ziele der Partei sehr klar formuliert. Ich habe Ihnen Abschriften des neuen Fünfundzwanzigpunkteprogramms mitgebracht.«

Nach Abschluss ihrer Besuche reichte Herr Popoff Alfred einen dicken Umschlag mit Französischen Francs. »Gute Arbeit, Herr Rosenberg. Diese Francs sollten für Ihre Reisen durch Europa reichen. Ihre Präsentationen waren exzellent, genau wie Herr Eckart es mir prophezeit hat. Und in einem so ausgezeichneten

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