Das Spinoza-Problem - By Yalom, Irvin D Page 0,137

ihm Bericht zu erstatten.«

»Ja, ich verstehe dein Dilemma. Mir würde es an deiner Stelle ebenso gehen.«

Friedrich setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand, und dachte einige Augenblicke nach. Dann erhob er sich, ging zur Tür und sagte: »Ich bin gleich wieder zurück.«

Kurz danach kam er mit Dr. Gebhardt wieder.

»Herr Doktor«, sprach er Dr. Gebhardt an, »ich habe den Befehl, mich um Herrn Reichsleiter Rosenberg zu kümmern, und natürlich werde ich diesem Befehl nach bestem Wissen Folge leisten. Aber es gibt ein Hindernis. Er und ich sind alte Bekannte, und wir besprechen schon seit langem persönliche Dinge. Wenn ich ihm helfen soll, ist es unabdingbar, dass er und ich absolut vertraulich sprechen können. Ich muss in der Lage sein, ihm absolute Vertraulichkeit zu garantieren. Ich weiß, dass tägliche Aufzeichnungen in der Krankenakte Pflicht sind, und ich bitte um die Erlaubnis, meine Aufzeichnungen nur auf seinen medizinischen Zustand zu beschränken.«

»Ich bin kein Psychiater, Dr. Pfister, aber in diesem Fall verstehe ich die Notwendigkeit vertraulicher Gespräche. Es ist zwar nicht das übliche Vorgehen, aber nichts ist wichtiger als Reichsleiter Rosenbergs Genesung und Rückkehr zu seiner wichtigen Arbeit. Ich bin mit Ihrer Forderung einverstanden.« Er salutierte vor den beiden Männern und verließ das Zimmer.

»Bist du jetzt beruhigt, Alfred?«

Alfred nickte. »Ich bin beruhigt.«

»Und es gibt keine anderen Fragen?«

»Ich bin zufrieden. Trotz des unerfreulichen Ausgangs unseres letzten Treffens habe ich seltsamerweise noch immer Vertrauen zu dir. Ich sage ›seltsamerweise‹, weil ich eigentlich überhaupt niemandem traue. Und ich brauche deine Hilfe. Letztes Jahr schon wurde ich hier in einem ähnlichen Zustand drei Monate lang stationär behandelt – ein tiefes schwarzes Loch, aus dem ich nicht herauskam. Ich war erledigt. Ich konnte nicht schlafen. Ich war erschöpft, konnte aber auch nicht stillsitzen, fand keine Ruhe.«

»Dein Zustand – wir nennen ihn ›agitierte Depression‹ – verschwindet fast immer nach drei bis sechs Monaten. Ich kann dir helfen, das abzukürzen.«

»Ich wäre dir unendlich dankbar. Alles – mein ganzes Leben – steht auf dem Spiel.«

»Dann machen wir uns an die Arbeit. Du kennst meinen Ansatz und wirst vermutlich nicht überrascht sein, wenn ich dir sage, dass unsere erste Aufgabe darin besteht, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die unserer Zusammenarbeit entgegenstehen könnten. Wie du habe auch ich Bedenken. Ich will mich kurz konzentrieren.«

Friedrich schloss die Augen und begann: »Es ist am besten, wenn ich reinen Tisch mache und einfach sage, was mir in den Sinn kommt. Ich habe einige Zweifel, was unsere Zusammenarbeit angeht. Wir sind zu unterschiedlich. Ich neige dazu, verstehen zu wollen, die verborgenen Wurzeln von Schwierigkeiten aufzudecken – das ist der Grundgedanke der psychoanalytischen Methode. Umfassendes Wissen beseitigt Konflikte und fördert die Heilung. Aber mit dir, fürchte ich, kann ich diesen Weg nicht gehen. Das letzte Mal, als ich versuchte, die Quelle deiner Schwierigkeiten zu erforschen, wurdest du wütend und defensiv und ranntest aus meinem Sprechzimmer. Deshalb weiß ich nicht recht, ob ich oder ob wenigstens dieser Ansatz hilfreich für dich sein kann.«

Alfred stand auf und lief im Zimmer herum.

»Wühle ich dich mit meiner Offenheit auf?«

»Nein, es sind nur meine Nerven. Ich kann nicht allzu lange sitzen. Ich schätze deine Aufrichtigkeit. Niemand spricht so offen mit mir. Du bist mein einziger Freund, Friedrich.«

Friedrich versuchte, diese Worte zu verdauen. Ohne zu wollen, fühlte er sich berührt. Und er war wütend, dass er ohne Vorankündigung in die Hohenlychen-Klinik überstellt worden war. Seine plötzliche Überstellung bedeutete, dass er eine große Zahl von Patienten mitten in ihrer Behandlung im Stich lassen musste, ohne ihnen ein genaues Datum für seine Rückkehr nennen zu können. Auch war er nicht begeistert davon, Alfred Rosenberg wiederzusehen. Sechs Jahre zuvor hatte er Alfred Rosenbergs Rücken angestarrt, als dieser mit finsteren Drohungen über die jüdischen Wurzeln seines Berufes aus seinem Sprechzimmer gestürmt war, und er war erleichtert gewesen, ihn nicht mehr wiedersehen zu müssen. Darüber hinaus hatte er versucht, den Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts zu lesen. Aber wie für alle anderen war er auch für ihn unverständlich gewesen. Das Buch gehörte zu den Bestsellern, die alle kauften, aber niemand las. Das Wenige aber, das er las, hatte ihn aufgeschreckt. Alfred leidet vielleicht wirklich, niedergeschlagen gesteht er, dass ich sein einziger Freund sei, aber er ist gefährlich – gefährlich für Deutschland, für alle.

Die Gedanken im Mythus und in Mein Kampf wiesen Parallelen auf – er erinnerte sich, dass Alfred gesagt hatte, Hitler habe ihm seine Ideen gestohlen. Beide Bücher drehten ihm den Magen um – so abscheulich, so gemein waren sie. Und so bedrohlich, dass er an Emigration gedacht und schon an Carl Gustav Jung und

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